Stadt der Lügen
gut, dafür hatte das Anwesen einen spektakulären, wunderbar für Kinder geeigneten Garten.
Ein Jahr verging, Deborah begann gerade zu krabbeln und steckte sich alles, was sie in die Händchen bekam, sofort in den Mund. Unsere Serie lief bereits in der dritten Staffel und war in der ganzen Welt zu einem Riesenerfolg geworden. Wir zählten inzwischen zu den wirklich reichen Leuten. Mir war nicht klar gewesen, dass man derart glücklich sein konnte. Ich wagte sogar, beim Lunch mit Ward Podomsky Wein zu bestellen; ich fühlte mich unantastbar.
Und dann …
Es begann genau wie beim ersten Mal. Ich fand eine Datei auf meinem Computer, die am Vortag noch nicht dort gewesen war. Die Datei hieß »Clay«, und ich erkannte auf den ersten Blick, dass der Inhalt etwa eine Seite lang sein musste.
Ich fühlte mich, als hätte sich in meinem Innersten ein schwarzes Loch aufgetan, in dem alles verschwand – Blut, Körperwärme, Atem und mein ganzes Leben. Mit zitternden Fingern bewegte ich den Cursor die Seite hinunter und schwankte einen Augenblick zwischen den Optionen »Offnen« und »Löschen«. Aber ich wusste, dass ich nicht so leicht davonkommen würde. Ich musste mich der Sache genau wie beim ersten Mal stellen und holte die Datei auf den Bildschirm.
Hallo, Schmierfink, wie geht’s? Machst dir ja ein schönes Leben! Und verdammt selbstgefällig bist du auch. Du brauchst es gar nicht erst abzustreiten, ich kenne dich zu gut.
Und wie geht’s deiner hübschen Frau? Nettes Mädchen. Und ganz schön schlau. Sie fickt wie verrückt, aber das weißt du ja selbst. Okay, okay, Schmierfink. Komm wieder runter. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn ich nicht mehr drüber rede. Du weißt ja, ich bin ein Gentleman – aber vor allem BIN ich.
Meine Augen flitzten über die Zeilen, während der Text über den Bildschirm rollte.
Ich weiß, dass du diesen Schauspieler umgebracht hast.
»Das ist eine Lüge!«, protestierte ich vernehmlich, als ob er mich hören könnte.
Wenn die Bullen wüssten, dass er an diesem Abend bei dir zu Hause war und du bei ihm zu Hause, dann würden sie den Fall wieder aufrollen. Du würdest ganz schön Ärger bekommen.
Er machte eine Pause, um mich darüber nachdenken zu lassen, dann fuhr er fort:
Ich könnte ihnen sagen, was ich weiß. Du weißt, dass ich es könnte. Unterschätz mich bloß nicht!
Sehr langsam, und mit einem Gefühl, als könne mir die Tastatur unversehens jeden Augenblick einen Stromschlag versetzen, streckte ich die Finger aus und schrieb:
Was willst du?
Die Antwort kam umgehend.
Ich will das, was ich schon immer wollte. Du bist meiner Forderung noch nicht nachgekommen, Schmierfink. Ich warte.
An dieser Stelle brach der Dialog zumindest für diesen Moment ab. Ich lehnte mich zurück und stellte fest, dass meine Hände zitterten. Ich verschränkte sie. Ganz fest. Meine Finger bekamen weiße und rote Flecken. Mein Atem ging flach. Bewusst atmete ich mehrmals tief durch. Mir kam es vor, als versuchte ich, aus einem langen, düsteren Tunnel zu entkommen. Ich fröstelte. Mir war kalt. Schließlich löschte ich die Datei und zog den Stecker aus der Steckdose.
Den größten Teil des Tages verbrachte ich damit, herumzufahren und vom Auto aus zu telefonieren. Ich mied die Menschen, denn ich war sicher, jeder würde merken, dass mit mir etwas nicht stimmte, und ich hatte keine Lust, Fragen zu beantworten. Ich war wie betäubt. So ähnlich musste man sich während eines Schocks fühlen, wenn man immer wieder versucht, sich bewusst zu machen, dass alles in Ordnung ist und man sich gleich wieder wohl fühlen wird; erst dann fällt einem auf, dass das merkwürdige, ferne Geräusch von einem selbst stammt und dass man wie verrückt lacht oder schreit oder schluchzt. Ich weiß das, weil ich an diesem Tag in meinem Auto auf dem Freeway lachte, schrie und schluchzte. Gott sei Dank bemerkte niemand etwas davon.
Irgendwie gelang es mir, zu Hause vor Claire zu verbergen, dass etwas nicht stimmte. In dieser Nacht ergriff ich die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie beim letzten Mal: Ich schloss mein Arbeitszimmer ab, legte den Schlüssel in die kitschige Spieluhr, die beim Öffnen die Nationalhymne dudelte und klebte die Spieldose auf unserem Schlafzimmerschrank fest. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ich aus Sorge, nicht schlafen zu können und am Morgen mit zerrütteten Nerven aufstehen zu müssen, eine Schlaftablette nahm.
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