Stadt der Lügen
wusste, dass er tot war – aber ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hörte meinen eigenen Atem und mein Herz, das wie ein großer, hoch in den Himmel steigender Vogel flatterte. Meine Gedanken rasten. Einen Moment lang fürchtete ich, ich könne in Ohnmacht fallen, aber dann kniete ich neben ihm nieder. Zwar kann ich mich nicht erinnern, ihn berührt zu haben, aber plötzlich war meine Hand voller Blut. Ich wischte es an meinem Pullover ab und erkannte erst dann, was ich getan hatte. Schnell stand ich auf und ging ein paar Schritte rückwärts.
Eines war mir klar: Es hatte keinen Sinn, die Polizei zu rufen. Da war die eingetretene Tür, die gegen mich sprach. Natürlich würde auch die Sache mit Claire und Alan auf unserer Terrasse zur Sprache kommen und zu einem wahren Albtraum aus Missverständnissen und Anschuldigungen führen.
Am besten war es, ihn so liegen zu lassen. Ich entschloss mich, die Wasserpistole an mich zu nehmen, entwand sie seinen Fingern und steckte sie in die Tasche. Wenn man sie in seiner Hand fand, würde man die gesamte Situation angesichts der eingetretenen Tür wahrscheinlich völlig falsch interpretieren. Man könnte zum Beispiel annehmen, dass er sich gegen einen Angreifer zur Wehr gesetzt und dabei in seiner Verzweiflung nach dem Erstbesten gegriffen hatte, das auch nur im Entferntesten einer Waffe ähnelte. Durchaus objektiven Umständen wohnt häufig Zweideutigkeit inne – das wissen wir Autoren mindestens ebenso gut wie jeder Detektiv.
Es gab keinen Grund, warum man nicht meine Fingerabdrücke im Haus finden sollte. Immerhin war ich häufig als Besucher dort gewesen, genau wie viele andere. Dennoch benutzte ich ein Taschentuch, um die Haustür zu öffnen und hinter mir zu schließen. Ich hob meinen Wagenheber auf und stieg an der Stelle über den Zaun, wo ich hineingekommen war. Das Haus lag in einem Tal bei Malibu. Damit er bei seiner Rückkehr keinen Verdacht schöpfte, hatte ich meinen Wagen ein Stück weiter weg stehen gelassen. Ich stieg ein, zog die Tür hinter mir zu und fuhr los. Mein Gesicht war noch immer nass. Ich dachte, es käme von der Wasserpistole, aber als ich die Feuchtigkeit von meinen Lippen leckte, schmeckte ich Tränen.
Armer Alan. Armer, mutiger, betörter Alan. Niemand würde je erfahren, was er durchgemacht hatte. Niemand würde seinen Tod verstehen. Niemand außer mir. Und ich durfte nicht darüber sprechen.
Allmählich dämmerte der Morgen herauf. Ich fuhr auf dem Pacific Coast Highway nach Norden. Glücklicherweise war mein Tank fast voll, und ich hatte einen Reservekanister dabei, brauchte also nicht an einer Tankstelle zu halten. Dadurch verminderte sich das Risiko, dass sich jemand an mich erinnerte. Irgendwann bog ich in die Hügel ab, stieg aus und entledigte mich meines Pullovers. Ich übergoss ihn mit Benzin und zündete ihn mit einem Stück Papier an, das ich mit dem Zigarettenanzünder in Brand setzte. Innerhalb von Sekunden verbrannte er zu Asche.
Anschließend fuhr ich ziellos noch etwa eine Stunde durch die Gegend, ehe ich in Santa Monica anhielt und bei Starbucks einen Kaffee trank. Vom Fenster aus sah ich zu, wie die Müllabfuhr den Abfalleimer leerte, in den ich die Wasserpistole geworfen hatte.
Von einem Münzfernsprecher aus rief ich Claire an. Sie klang verwirrt und erzählte, dass sie gerade etwas Schreckliches in den Nachrichten gehört hätte: Alan Kemp war am Morgen von seiner Haushälterin tot aufgefunden worden. Die Polizei sprach von einem möglichen Unfall.
Das Wort »möglich« gefiel mir ganz und gar nicht.
Claire fragte nicht nach. Für sie war klar, dass ich die Nacht in San Francisco verbracht hatte. Unser beider Schock über Alans Tod vertuschte jede Peinlichkeit, die zwischen uns hätte entstehen können.
An diesem Morgen gingen wir nicht ins Büro. Wir blieben zu Hause und telefonierten herum; als Erstes mit dem Sender. Todd Weinberg war schon auf dem Laufenden, weil er mit Alans Agenten gesprochen hatte. Soweit ich es beurteilen konnte, stimmten die Fakten. Alan war vollständig bekleidet und mit einer tiefen Wunde an der Schläfe in seinem Fitnessraum aufgefunden wurden. Todd meinte, er habe das Gefühl, dass bewusst Informationen zurückgehalten würden, die möglicherweise auf ein schwerwiegenderes Ereignis als einen normalen Unfall hindeuten könnten.
Ich wusste, um was es sich handelte: Es war die eingetretene Tür zum Fitnessraum. Natürlich konnte es dafür eine einfache
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