Stadt der Masken strava1
engen Umkreis der neuen Duchessa.«
»Hexerei?«, erkundigte sich Rodolfo. »Könnt Ihr Euch etwas genauer ausdrü
cken?«
»Magie«, sagte Ricci, der sich sichtlich unbehaglich fühlte. »Die Zusammenarbeit mit bösen Geistern.«
Rodolfo hob nur eine Augenbraue.
»Sie hat einen Freund«, pflügte sich Ricci weiter voran. »Einen engen Freund, mit dem sie viel Zeit verbracht hat, einen jungen Mann.«
»Sprecht Ihr vielleicht von meinem Lehrling Luciano?«, fragte Rodolfo.
»So ist es, Luciano ist sein Name. So unwahrscheinlich es auch klingen mag, wir haben Beweise, dass er nicht tatsächlich, äh, wie soll ich es ausdrücken? Dass er kein gewöhnlicher Sterblicher dieser Welt ist.«
»Was für Beweise?«, wollte Rodolfo wissen.
»Nun, wenn Ihr gestattet, Senator, wir werden ihn hereinbringen und es vorfüh
ren.«
Wieder entstand ein Aufruhr in dem Saal, als Enrico nach vorne trat und Lucien hinter sich herzog.
»Luciano!«, rief Arianna aus und Ricci sagte: »Wie Ihr seht, hat der Junge keinen Schatten.«
»Es scheint so weit zu sein?«, sagte Mr Laski. Luciens Eltern nickten. Sie standen zu beiden Seiten ihres Sohnes und jeder hielt eine Hand, durch die kaum noch Leben pulste.
Die Sonne war einen Moment hinter einer Wolke verschwunden, doch es gab keinen Zweifel, dass sie gleich wieder hervortreten würde und mit voller Macht durch die hohen Fenster des Ratssaals leuchten würde. Die Fenster befanden sich hinter Lucien und gingen nach Westen und er wusste, er würde nun als Stravagante entlarvt werden. Alles war ganz fürchterlich schiefgelaufen. Er sah Arianna an und fragte sich, was es für sie beide bedeuten würde.
In dem Moment rief Rodolfo: »Luciano, fang auf!«, und warf ihm etwas zu. Automatisch streckte er die Hände aus, um aufzufangen, was auch immer es sein mochte, doch seine Hände waren noch gefesselt und außerdem an Enrico gebunden. Er griff daneben und der Gegenstand fiel zu Boden.
In dem Augenblick kam die Sonne wieder voll zum Vorschein. Sie schien durch das Fenster und Lucien sah zum ersten Mal, was er in Talia noch nie gesehen hatte: Seinen Schatten, der sich der Länge nach vor ihm ausstreckte. Ein merkwürdiges, kräftiges Gefühl rann durch seine Adern, und ehe er begriff, was es bedeutete, sah er, wie Leonora Rinaldo di Chimici zuvorkam und den Gegenstand aufhob, den Rodolfo geworfen hatte. Sie steckte ihn ein und dann war der gesamte Saal von Gelächter erfüllt.
»Diesem jungen Mann scheint es an seinem Schatten nicht zu fehlen«, sagte Rodolfo, der seine Stimme allerdings nur mit größter Willensanstrengung beherrschen konnte. »Wenn es keine weiteren Anschuldigungen gibt, erkläre ich diesen Volkssenat für beendet.«
Der Doktor schloss Luciens Augen.
Kapitel 21
Der Mann in Schwarz
Lucien befand sich in einem Schockzustand. Enrico hatte ihn schnell losgebunden und war verschwunden. Leonora nahm ihn zu ihrem Haus mit zurück, während Arianna die beiden ängstlich umtanzte. Er wurde in ihren eleganten Salon mit den zierlichen Stühlen gebracht und auf ein kleines rotes Samtsofa gelegt. Leonora läutete nach Wasser. Aber noch bevor das Wasser kam, war Silvia bei ihnen und ein paar Minuten später wurde Rodolfo hereingeführt.
Er fühlte Luciens Puls. »Was ist geschehen?«, fragte er. »Geht es dir gut?«
Lucien nickte. Er war wie betäubt und Leonora musste ihm etwas Wasser einflö
ßen.
»Der Spitzel von di Chimici, der in dem blauen Umhang, hat mich am Abend der Wahl auf der Piazza entführt«, erzählte er. »Er fesselte mich und drohte mir und schloss mich in einem Zimmer ein. Erst wurden mir die Augen verbunden, dann brachte er jemand herein. Ich bin jedoch sicher, dass es der Botschafter war. Sie haben mir alles abgenommen.« Seine Stimme versagte. »Auch das Notizbuch –
ich konnte sie nicht davon abhalten.«
Er trank noch einen Schluck Wasser, um sich fassen zu können.
»Vielleicht wissen sie ja gar nicht, was man damit machen kann?«, meinte Arianna.
Lucien schüttelte den Kopf. »Das wissen sie nur zu gut. Es wird nicht lange dauern und sie werden raushaben, wie man es benutzt.« Er wandte sich zu Rodolfo um. »Ich habe Sie enttäuscht, Meister.«
Alles wirkte trostlos. Die Chimici würden die Stravaganza erlernen und würden mit ihrer verbrecherischen Ausbeute des einundzwanzigsten Jahrhunderts anfangen. Niemand konnte sie aufhalten. Und jenseits von diesen bitteren Vorstellungen lag ein Schrecken, über den Lucien noch gar nicht nachdenken
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