Stadt der Masken strava1
Pläne und er nickte, während sie sich in die Ortschaft aufmachten.
»Wir können doch Lucien auch erst mal die Sehenswürdigkeiten zeigen, bevor wir nach Tommaso und Angelo suchen«, sagte Leonora.
Eine Menge anderer Leute schien die gleiche Idee zu haben. Der Hafen war gespickt mit Booten, unter denen auch ein paar recht große Exemplare waren. Auf der Hauptstraße von Merlino drängten sich Leute, die eindeutig nach Besuchern aussahen. Lucien konnte nicht sagen, woran er das erkannte. Sie hatten schließlich die Kleidung von vor vierhundert Jahren an und waren nicht in Shorts gekleidet oder hatten Fotoapparate dabei, aber sie sahen trotzdem nicht wie Einheimische aus.
Einen Augenblick überlegte Lucien, ob er genauso wirkte; immerhin gehörte er noch weniger dazu als jeder andere. Er war froh, mit den beiden Lagunenbewohnern zusammen zu sein, die die Inseln kannten wie ihre Westentaschen.
»Wo gehen die nur alle hin?«, fragte er.
»Die kommen alle, um das Glas zu sehen«, erklärte Arianna. »Das sollten wir auch tun.«
Lucien hatte in seinen Venedig-Führern über Murano-Glas gelesen, aber das war nichts verglichen mit dem, was er in den Bläsereien von Merlino vorfand. Es gab buntes Glas in allen Regenbogenfarben, aber was so besonders hervorstach, waren die Formen. Man konnte Vasen und Briefbeschwerer und allerlei Zierrat an vielen Ständen in den Straßen kaufen – und dann gab es noch die Glasgegenstände in den Schausälen. Und die waren echte Kunstwerke.
Die schönsten waren in den Räumen, die einem unbekannten Glaskünstler des fünfzehnten Jahrhunderts gewidmet waren. Es gab Schlösschen mit Türmen, Schiffe mit gesetzten Segeln, geflügelte Widder, Pfauen und ganze Gärten mit gläsernen Bäumen und Blumen mit zarten Spinnweben, naturgetreu bis hin zu den daran hängenden Tautropfen.
Lucien musste richtiggehend fortgezerrt werden.
»Komm und sieh dir die scheußliche Maske an«, sagte Arianna.
In einer Ecke des Hauptraumes desselben Glasmeisters stand eine verzierte Vitrine. Auf einem schwarzen Samtkissen war darin eine kunstvolle Maske ausgestellt. Sie war so aufwändig, dass man kaum glauben mochte, sie sei aus Glas.
Sie hatte einen schwach perlmuttartigen bläulichen Schimmer und hätte wunderschön gewirkt, wenn da nicht etwas Unheimliches an ihr gewesen wäre. Lucien wand sich ungemütlich.
»Du spürst es?«, fragte Arianna. »Das Ding war der Grund für unsere schreckliche Sitte, dass alle Frauen Masken tragen müssen. Oder genau genommen nicht das hier, sondern sein Pendant. Komm mit raus und ich erzähle dir die Geschichte. Hier drin ist es zu voll.«
Als sie gemeinsam mit Leonora aus den Schauräumen traten, zeigte ihm Arianna das Motto, das in den Stein über der Tür gehauen war: »Ove Beltà porta una Maschera.«
»Wo Schönheit eine Maske trägt«, übersetzte sie aus dem Alt-Talianischen. »Das ist das wahre bellezzanische Motto, seit dem Unfall der Duchessa.«
Sie gingen zu einem kleinen begrünten Platz bei einem der Kanäle – denn Merlino war genau wie Bellezza eine Insel, die von Wasserstraßen durchzogen war.
Leonora packte den Picknickkorb aus und setzte sich auf die Steinbalustrade, die um den Brunnen in der Mitte des Platzes lief, während sich Lucien und Arianna im Gras ausstreckten. Lucien wärmte sich an der Sonne, die den kalten Schauer vertrieb, den ihm die Maske versetzt hatte.
»Der Glasmeister machte die Maske auf Geheiß der Duchessa«, begann Arianna und biss in ein Radieschen. »Natürlich war es nicht die jetzige. Das geschah ungefähr vor hundert Jahren. Es war sein Meisterwerk, gefertigt nach ihren eigenen Vorstellungen, und sie wollte die Maske beim Karneval tragen.«
»Das muss aber ziemlich unbequem gewesen sein«, sagte Lucien.
»Am Ende war es schlimmer als das«, schnaubte Arianna. »Sie trug sie bei dem großen Ball, der zum Schluss des Karnevals abgehalten wird, auf der Piazza Santa Maddalena vor dem Dom. Ihr Tanzpartner war der junge Prinz von Remora, Fernando di Chimici. Schneller und schneller wirbelte er sie auf dem Platz herum.
Alle Leute sahen zu und klatschten Beifall. Und dann stolperte sie. Sie stolperte und fiel und die Maske zerbrach in tausend Stücke.«
»Autsch!«, entfuhr es Lucien.
Arianna nickte. »Die Schreie der Duchessa waren fast der Auslöser für einen Krieg. Ihre Wachen waren überzeugt, dass der junge Chimici versucht hatte sie zu ermorden. Es gab ein völliges Durcheinander und eine allgemeine
Weitere Kostenlose Bücher