Stadt der Masken strava1
Angelo und zog ein beeindruckend scharfes Exemplar aus seinem Gürtel. Er gab es Lucien, damit er es ansehen konnte.
»Wird in Bellezza sehr hoch geschätzt. Die Zeit zwischen dem Fischen verbringen wir damit, Klingen zu schnitzen und zu schärfen, dann versenden wir sie aufs Festland, wo man dann noch Griffe dranmacht.«
»Und sie sind sehr teuer«, sagte Arianna und betrachtete den Dolch voller Neid.
»Wir könnten sie uns nicht leisten, wenn wir nicht an der Herstellung beteiligt wären«, sagte Tommaso.
»Und du weißt auch«, neckte Angelo seine Schwester, »dass du keinen be
kommst, bis du sechzehn bist und man dir zutrauen kann, damit umgehen zu können.«
Arianna zog eine Schnute.
»Ein Dolch und eine Maske«, flüsterte Lucien. »In ein paar Monaten bist du ja noch viel gefährlicher!«
Arianna lächelte. Leonora begann die Brüder auszufragen, wie willkommen der Besuch auf Torrone sein würde. Lucien und Arianna zogen sich vom Ufer zurück, um dem überwältigenden Fischgestank aus dem Weg zu gehen.
»Es ist eigentlich traurig«, sagte Arianna. »Der Dolch, den ich bekomme, ist viel
leicht einer der letzten. Na ja, dann ist er umso wertvoller.«
»Wieso?«, wollte Lucien wissen.
»Der Merlino-Fisch ist am Aussterben«, erwiderte sie. »Oder genauer gesagt, der Vorrat an Fischbein geht zu Ende. Einen lebenden Merlino hat man seit Jahren nicht mehr gesehen. Die Fischer halten es für möglich, dass er schon ausgerottet ist. Das ist schade, denn meine Brüder verdienen mehr Geld mit dem Handel von Merlino-Klingen als mit dem Fischen.«
»Wer kauft die Dolche?«, fragte Lucien.
»Fremde Besucher«, sagte Arianna. »Und Mörder natürlich«, setzte sie hinzu.
Der remanische Botschafter war interessierter, als er zeigen wollte. Wenn die Duchessa bei Staatsanlässen eine Stellvertreterin benutzte, dann würde sie be
sonders verwundbar und unbewacht sein, wo immer sie sich selbst aufhielt, so
lange sie vertreten wurde. Aber er würde sich nicht auf diesen abgerissenen Spitzel verlassen.
»Bring mir das Mädchen«, sagte er und wedelte rasch und befehlend mit seinem Taschentuch. »Ich will alles aus ihrem eigenen Mund hören.«
Statt direkt nach Torrone zu fahren, bat Leonora den Fährmann, sie als Nächstes nach Burlesca zu bringen. Tommaso und Angelo fanden es beide angebrachter, dass die gesamte Familie beisammen war, wenn das Familientreffen stattfand.
Daher schlugen sie vor, dass die drei ein Weilchen auf Burlesca verbringen soll
ten, bis sie selbst mit ihrer Arbeit auf Merlino fertig waren.
»Dann besuchen wir also erst mal deine Nonna«, sagte Leonora.
Arianna klatschte in die Hände. »Prima! Und kriegen ein bisschen von Nonnas Kuchen! – Wir gehen erst zu meinen Großeltern«, wandte sie sich erklärend an Lucien. »Es sind die Eltern meiner Mama und sie wohnen in dem witzigsten klei
nen Haus auf Burlesca, das du dir vorstellen kannst. Du wirst schon sehen.«
Während sich das Boot dem nächsten Inselchen näherte, konnte Lucien sehen, dass es dort sehr bunt zuging. Kaum waren sie nah genug, um die Häuser zu erkennen, stellte er fest, dass jedes in einer anderen Farbe getüncht war –
leuchtend blau oder rosa oder orange oder gelb standen sie eines neben dem anderen. In einem Londoner Vorort hätte das sicher schrecklich gewirkt, aber unter dem blauen Himmel der Lagune sah es einfach perfekt aus.
»Sieh nur! Da ist ihr Haus!«, rief Arianna, als das Boot anlegte. »Ist es nicht lus
tig?«
Plötzlich sah Lucien, was sie meinte. Inmitten mehrerer grüner und türkiser und lilafarbener Häuser stand eines in Schneeweiß. Es hob sich von allen anderen ab wie weiße Schokolade zwischen braunen Pralinen. Einige Besucher blieben stehen, um es im Vorübergehen anzuschauen, und Lucien konnte sich vorstellen, dass dieses Haus in seiner Welt garantiert auf allen Ansichtkarten drauf sein würde.
Vor der Haustür saß eine alte Frau, die in Schwarz gekleidet war. Sie hatte schneeweißes Haar und auf ihrem Schoß lag auf einem kleinen schwarzen Kissen ein Haufen blütenweißer Spitze. Sie arbeitete so flink daran, dass man ihren krummen Fingern kaum folgen konnte, und dabei grüßte sie nebenher jeden, der vorüberkam, und plauderte mit den Nachbarinnen, die in gleicher Weise beschäftigt waren. Sie sah die Handarbeit nicht einmal an.
»Großmama Paola!«, rief Arianna und stürzte auf die alte Frau zu. Im Nur war die Handarbeit vergessen, das Gesicht der Großmutter leuchtete beim
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