Stadt der Masken strava1
Anblick ihrer Enkelin auf und sie schloss sie in die Arme.
Wie ähnlich sie sich sind, dachte Lucien. Die alte Frau hatte, obwohl sie in ihren schwarzen Kleidern so Respekt gebietend wirkte, ein Zwinkern in den Augen, das bei einer jungen Person übermütig gewirkt hätte.
»Arianna! Wie schön, dich zu sehen! Und deine Tante Leonora auch. Und wer ist der junge Mann?«
Die alte Frau ließ ihre Spitze liegen und führte sie ins Haus. Lucien blieb kurz stehen, um sich die Arbeit anzusehen. Das musste wohl eine Tischdecke oder etwas Ähnliches werden. In der Mitte war ein Pfau mit ausgebreitetem Rad zu sehen, was ihn an eine der besten Arbeiten des Glasmeisters erinnerte. Um den Pfau herum wurde ein Muster aus Blattwerk und Lilien gearbeitet.
»Glas und Spitzen«, sagte eine Stimme, die wie ein Echo seiner Gedanken war.
»Nur darum geht es auf den Inseln.«
Lucien sah auf und merkte, dass Ariannas Großmutter wieder herausgekommen war, um ihn mit hineinzunehmen. Sie sah ihn mit einem so klugen Blick an, dass er sich plötzlich durchschaut fühlte und sich seines fehlenden Schattens bewusst wurde.
»Sie ist wunderschön«, sagte er und wurde rot. Plötzlich überfiel ihn der schmerzliche Gedanke, dass er seiner Mutter niemals etwas von dieser schönen Spitze mitbringen konnte.
»Schön und auch nützlich«, sagte die alte Frau nickend. »Spitze hat ihre eigene Sprache, musst du wissen.«
Ehe er fragen konnte, was sie meinte, kam Arianna zurückgehüpft.
»Lass doch die Spitze«, sagte sie. »Wie wär’s mit Kuchen?«
Ariannas Großmutter schickte sie zur Konditorei, wo ihr Mann arbeitete.
»Sag ihm, er soll mit nach Hause kommen«, rief sie hinterher. »Er schließt sowieso bald für heute.«
Mit einem faltigen, dunkelhäutigen Mann kam Arianna alsbald zurück. Er ging am Stock und Arianna, die neben ihm hersprang, trug eine große Platte mit Gebäck.
»Luciano, das ist mein Großvater«, sagte sie. »Er macht den besten Kuchen auf der Insel. Einige seiner Rezepte sind schon Generationen alt und ganz geheim, stimmt’s, Großpapa? Aber du vererbst sie mir, wenn du stirbst, nicht wahr?«
»Du willst also Konditorin werden?«, fragte ihre Großmutter. »Soweit ich gehört habe, war es bisher Mandoliera?«
Jetzt war es an Arianna, rot zu werden, und eine Weile blieb sie ziemlich still. Es verunsicherte sie, dass Leonora ihren Verwandten von ihrem Abenteuer am Verbotenen Tag erzählt hatte. Wie viel wussten sie wohl von Luciano?
Aber sie war die Einzige, die sich nicht ganz so wohl fühlte. Sie saßen alle um den großen, steinernen Tisch im Garten der Großeltern, in dem viele Terracotta
Töpfe mit roten Blumen und üppigem Grün herumstanden, die sich hübsch von den weißen Wänden abhoben. Lucien konnte sich vorstellen, dass Ariannas Großvater sein Haus rosa angestrichen hätte, wenn er auf Merlino gewohnt hätte, wo alle Häuser weiß waren. So ein Typ war er. Er war nicht groß und seine krummen Beine ließen ihn noch kleiner wirken, aber mit seinen buschigen weißen Brauen war er eine beeindruckende Persönlichkeit. Und er machte wirklich die köstlichsten Kuchen.
»Versuch mal von diesem«, sagte er zu Lucien und deutete auf ein krümeliges, mit Zucker bestreutes Gebäck in der Form eines Halbmondes. »Da ist Zitrone drin.«
Die Kuchen, die teilweise eher Kekse waren, wurden mit Prosecco serviert. Lucien streckte die Beine aus und trank den prickelnden Wein zu dem süßen Gebäck und genoss den Duft des Gartens und die Wärme der Nachmittagssonne. Er konnte sich nicht erinnern, dass er sich je wohler gefühlt hatte.
Giuliana erschrak fast zu Tode. »Du machst mir solchen Ärger, Enrico! Nicht nur mir, sondern meiner Familie noch dazu. Ich habe ein Versprechen gegeben. Und die Duchessa meint, was sie gesagt hat. Wenn sie herausfindet, dass ich es jemandem gesagt habe, dann werden wir aus der Stadt verbannt.«
»Du machst dir zu viele Gedanken, Liebes«, sagte ihr Verlobter und strich ihr das schwarze Haar aus der Stirn. »Die Duchessa ist eine alte Frau. Sie wird nicht ewig leben. Und wie kann sie dir was tun, wenn sie mal nicht mehr ist?«
Giuliana war nicht beruhigt. Hinter ihrer Maske zog sie ihre Stirn in Falten. So alt war die Duchessa schließlich nicht und Giuliana schien es seltsam, dass Enrico so ganz nebenbei das Thema ihres möglichen Ablebens hatte einfließen lassen. Giuliana hatte nie ganz durchschaut, wie sich ihr Verlobter den Lebensunterhalt verdiente. Er war Stallknecht
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