Stadt der Masken strava1
sie in Nöten sind.«
Lucien konnte eine ganze Ansammlung von Kerzen zu Füßen des Mosaiks sehen.
Außerdem lagen dort Blumen und Perlen und kleine Geschenke auf dem Boden.
»Siehst du die große Steinplatte hinter dem Altar?«, fragte ihn Gianfranco. »Unter ihr liegen die Gebeine eines Drachens. Die heilige Maddalena, Patronin der Lagune, soll ihn getötet haben, indem sie eine ihrer Tränen auf ihn hat fallen lassen. Allein die heilige Macht der Träne hat ihn vergehen lassen.«
Nachdem sie den Rundgang durch die Kirche beendet hatten, war Lucien ziemlich verwirrt. Einerseits handelte es sich um eine Kirche und er hatte das Gefühl, dass ihm das, was er sah, vertraut sein müsste. Andrerseits schienen die Lagunenbewohner genauso glücklich mit Geschichten von Göttinnen und Drachen, die eigentlich in eine frühere, heidnische Welt gehörten.
Sie kehrten zum Elternhaus Ariannas zurück, wo Valeria Fisch zubereitet hatte, den ihre Söhne mitgebracht hatten. Dazu gab es eine große Schüssel Pasta mit Kräutern und Oliven und Knoblauch. Es schmeckte völlig anders als alles, was Lucien je in italienischen Restaurants in London bekommen hatte.
Nach der Mahlzeit, die auf einer kleinen, weinbewachsenen Terrasse eingenommen wurde, machte Valeria Kaffee. Leonora hatte den Fährmann in Burlesca bezahlt, denn Ariannas Brüder hatten angeboten, sie in ihrem Fischerboot nach Hause zu bringen.
»Wir sollten aufbrechen, wenn wir den Kaffee getrunken haben, Mama«, sagte Angelo. »Fischer müssen früh am Morgen raus«, erklärte er Luciano.
Da fiel es Lucien zum ersten Mal auf, dass es dunkel wurde und die ersten Sterne herauskamen. Mit einem furchtbaren Schrecken wurde ihm klar, dass es daheim in seiner Welt schon Morgen sein musste.
Kapitel 8
Ein Glas voller Regenbogen
Als Lucien diesmal zu sich kam, war es viel schlimmer. Nicht nur seine Mutter starrte ihm ängstlich ins Gesicht; ihre Hausärztin, Doktor Kennedy, war ebenfalls da, das Stethoskop um den Hals. Als Luciens Augenlider zuckten und sich öffneten, brach seine Mutter in Tränen aus. Es machte ihm fürchterlich zu schaffen, sie so aufgelöst zu sehen. »Keine Sorge, Mrs Mulholland«, sagte Dr. Kennedy, nachdem sie seinen Puls gemessen und ihm mit einer Taschenlampe in die Augen geleuchtet hatte. »Mit Lucien scheint alles bestens zu stimmen – gemessen am derzeitigen Stand der Behandlung.«
»Mum, es tut mir Leid«, sagte Lucien. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe von ganz besonders schöner Spitze geträumt, die ich dir kaufen wollte. Und ich konnte mich einfach nicht aus dem Traum losreißen.« Das war eine Lüge, aber er konnte es nicht ertragen, sie so verzweifelt zu erleben, und die Wahrheit hätte sie nie und nimmer geglaubt. Er beschloss die Ärztin auf seine Seite zu ziehen.
»Das ist schon mal passiert. Anscheinend falle ich jetzt manchmal in eine Art Tiefschlaf, viel bleierner als früher. Liegt das an der Krankheit oder kommt die Müdigkeit als Nachwirkung von der Chemo? Während der Behandlung war ich nämlich ständig müde.«
»Schwer zu sagen«, erwiderte die Ärztin mit gerunzelter Stirn. »Klingt wie eine Nachwirkung der Behandlung, obwohl es mir noch nie vorher begegnet ist. Aber jetzt kommst du mir ja topfit vor. Du hast einfach ein bisschen arg lang geschlafen. Und da wäre er ja wohl nicht der erste Teenager, dem das passiert«, wandte sie sich an Luciens Mutter, die ein schwaches Lächeln zu Stande brachte. »Tut mir Leid, dass ich Sie umsonst hergeholt habe«, entschuldigte sie sich. »Aber ich bin so erschrocken, als ich ihn nicht aufwecken konnte. Letztes Mal hat es sich nur um ein paar Minuten gehandelt, aber wie ich ja schon sagte, diesmal habe ich es ungefähr eine halbe Stunde lang versucht.« Nachdem die Ärztin fort war, stand Lucien auf, zog sich an und verhielt sich so munter wie möglich, obwohl er jetzt hundemüde war. Es war beinahe so schlimm wie zur Zeit der Chemo, dabei hatte er schon fast vergessen, wie ausgepumpt er sich damals vorgekommen war. Während der letzten paar Wochen hatte er sich allmählich wieder normal gefühlt. Als seine Mutter beschloss, dass es ihm gut genug ging, um ihn allein zu lassen, und sich zum Supermarkt aufmachte, legte sich Lucien sofort auf sein Bett.
Aber nicht, um zu schlafen. Er umklammerte das Buch und fiel in Bewusstlosigkeit, indem er sich nach Talia wünschte. Er musste dringend zurück auf das Boot, von dem er so plötzlich verschwunden war.
Lucien hatte
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