Stadt der Masken strava1
setzten sich wie der Bodensatz in einem Glas und er spürte, wie er gleichzeitig versank: aus dem Laboratorium heraus, fort aus Bellezza, aus Talia…
Rodolfo blieb lange stehen und betrachtete seufzend den leeren Sessel. »Bemerkenswert, äußerst bemerkenswert.«
Die beiden Schatten in der Straße vor Rodolfos Palazzo entfernten sich und steuerten auf die nächste Taverne zu. Der eine trug einen blauen Umhang und lief wankend. Der andere war in grobe Arbeitssachen gekleidet. Beide waren am Anleger an der Piazzetta aus kleinen Booten gestiegen und hatten bemerkt, dass sie dieselbe Gruppe beschatteten. Nun war es an der Zeit, miteinander ein paar Gläser Strega zu leeren und Informationen auszutauschen.
Lucien wachte auf und hörte gleichzeitig den Schlüssel seiner Mutter im Schloss.
Er rannte die Treppe hinunter, fast so schnell, wie er in Bellezza die Treppe hinaufgerannt war, und begrüßte sie in der Diele. »Komm, ich helf dir auspacken«, sagte er. »Also, es scheint dir ja jetzt tatsächlich ganz gut zu gehen«, sagte seine Mutter und Lucien war erleichtert, dass sie so fröhlich aussah.
Doch die Taschen aus dem Auto zu schleppen und den Inhalt in die Schränke, den Kühlschrank und die Gefriertruhe zu verräumen erschöpfte ihn. Sobald er das Gefühl hatte, es riskieren zu können, gähnte er herzhaft und sagte: »Jetzt bin ich doch wieder ein bisschen müde. Macht es dir was aus, wenn ich mich nochmal hinlege?«
»Nein«, sagte seine Mutter ganz ohne Argwohn. »Geh nur hinauf und mach ein Mittagsschläfchen. Ich bring dir dann in einer Stunde eine Tasse Tee. Damit du dir den Nachtschlaf nicht vorwegnimmst.«
Das war allerdings etwas, was Lucien in letzter Zeit nicht mehr kannte. Jede Nacht verbrachte er wachend in einer anderen Welt. Die körperliche Anstrengung und das frische Essen, das er dort bekam, taten ihm einerseits gut. Er nahm zu und seine Muskeln strafften sich wieder – was sich auch in seine eigene Welt übertrug. Selbst sein Haar begann wieder als dunkler Flaum zu wachsen. Aber auf irgendeine Weise war er trotzdem erschöpft. Jetzt nahm er das Notizbuch aus der Tasche und legte es sorgfältig auf den Nachttisch. Diesmal wollte er sichergehen, dass er auch wirklich schlief.
Guido Parola war mit seiner Weisheit am Ende. Er hätte eigentlich auf die Universität von Padavia gehen sollen, aber dafür war jetzt kein Geld mehr da. Sein älterer Bruder hatte das Familienvermögen vertrunken und verspielt und war verschwunden. Sein Vater war sehr krank und es war kein Geld da, um den Arzt und die Behandlung zu zahlen, nicht mal eine Frau, die ihn pflegen konnte. Guidos Mutter war gestorben, als er noch sehr klein war.
Es war anrührend, wie sanft der schlaksige, rothaarige Junge mit seinem Vater umging. Aber sie hatten nur noch ein paar Heller und er hätte gutes, nahrhaftes Essen kaufen müssen, um seinen Vater bei Kräften zu halten. Er war auf dem Markt, als ihn ein alter Schulkamerad ansprach. Innerhalb von ein paar Minuten saßen sie in einer örtlichen Taverne und Guido trank schweren bellezzanischen Rotwein, den ihm sein Freund spendierte, und schüttete sein Herz aus.
»Heute machen wir Feuerwerkskörper«, verkündete Rodolfo, sobald Lucien an dem Abend nach dem beinahe verunglückten Ausflug nach Bellezza zurückkehrte. Das Sonnenlicht, das in das Laboratorium strömte, gab Lucien das seltsame Gefühl, dass Rodolfo die Nacht in den Tag verwandeln könne. Womöglich konnte er das ja auch. Lucien hatte immer noch keine Ahnung, wie machtvoll Rodolfo sein mochte. Und heute würden sie also Feuerwerkskörper machen.
»Für Maddalena«, erklärte Rodolfo. »Ihr Festtag ist am zweiundzwanzigsten Juli.
Und weil sie die Schutzheilige der Lagune ist, muss ich immer etwas Besonderes machen. Dieses Jahr muss es sogar ganz besonders werden, denn das Fest fällt zusammen mit der Eröffnung der Kirche, die als Dank für die Errettung vor der Pest gebaut wurde.«
»Arianna sagt, dass Ihr Schauspiel bei der Vermählung mit dem Meer schon was Besonderes war«, sagte Lucien. »Ich hätte es ja zu gerne gesehen.«
»Du wirst meine Vorstellungen alle nicht sehen können, Luciano«, sagte Rodolfo sanft. »Am Tag kann man kein Feuerwerk abhalten. Es gibt nun mal einfach ein paar Dinge, die im Dunkeln stattfinden müssen.«
Das war eine traurige Feststellung, die die Freude an der Herstellung der Feuerwerkskörper etwas minderte, aber im Laufe des Morgens nahm Lucien seine Arbeit ganz gefangen.
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