Stadt der Schuld
erwachte, als die lauten Geräusche im Raum deutlich, ja verdächtig abebbten. Mühsam öffnete Aaron die Augen und spähte in Richtung des Eingangs, wo drei Männer gerade den Raum betreten hatten. Einen davon kannte er bereits. Es war der Kerl, mit dem er vorhin seine Kleider getauscht hatte, begleitet von zwei anderen, die Aaron seltsam bekannt vorkamen. Wo hatte er die beiden nur schon einmal gesehen? Er konnte sich nicht erinnern. Die drei standen nur ruhig da, doch ein paar der Männer an den Tischen erhoben sich jetzt drohend halb von ihren Sitzen, andere Zecher duckten sich unmerklich weg. Der Wirt zeigte plötzlich deutliche Anzeichen von nervöser Anspannung, eine Regung, die Aaron dem stiernackigen Menschen gar nicht zugetraut hätte.
Der, der nun seine Sachen trug, ließ seinen Blick suchend durch den Schankraum schweifen und dann schien er gefunden zu haben, was er suchte. Er streckte seine Hand aus und wies direkt auf Aaron.
Rasch und ohne sich um die wütenden Blicke der Anwesenden zu kümmern, kamen die beiden, die ihm so bekannt vorkamen, auf ihn zu. Was wollten sie von ihm und wo, zum Teufel, hatte er diese Kerle nur schon gesehen? Aaron versuchte aufzustehen, doch seine Beine wollten ihm nicht recht gehorchen. Er fiel fast vornüber. Rasch griff er nach der Kante des wackeligen Holztisches, worauf dieser einfach umkippte. Der irdene Teller mit dem inzwischen erkalteten Rest Stew kam ins Rutschen, fiel mit einem unschönen Klirren zu Boden und zerbrach.
»Wirklich eine Überraschung, dich zu sehen, Aaron Stanton. Eine außerordentliche Überraschung sogar! So bist du also gar nicht deportiert worden, wie die anderen von deinen Chartistenfreunden. Wie bist du da nur wieder rausgekommen? Immer schnell auf den Beinen, hm? Tja, Stanton, aber ich fürchte, das ist jetzt das Ende deiner Glückssträhne. Mrs Friwell hat nämlich nach wie vor noch eine Rechnung mit dir offen. Sie kann es sicher kaum erwarten, dich zu sehen, glaub mir.« Der eine Mann kicherte jetzt böse, während der andere mit ungerührter Miene verkündete: »So, und nun gehst du schön mit uns hinaus und machst keine Zicken, verstanden?«
Aaron starrte sie an. Jetzt wusste er plötzlich, wo er die beiden schon einmal gesehen hatte. Sie gehörten zu den Kerlen, die ihn bei seiner Flucht aus Mrs Friwells Etablissement verfolgt hatten. Abwehrend hob er die Hände, doch schon hatten die beiden ihn gepackt und schleppten ihn ohne viel Federlesens wie einen Sack voller Kartoffeln zum Hinterausgang des Red Cock. Aaron versuchte sich dem eisenharten Griff zu entwinden, aber er war einfach zu schwach, um sich wirksam gegen die beiden zur Wehr zu setzen. Keiner kam ihm zu Hilfe. Warum auch? Er war nichts als ein Fremder hier. Warum sollte sich irgendjemand wegen eines unbekannten Fremden mit gefährlichen Kriminellen anlegen?
Ein heftiger Stoß schleuderte ihn draußen vor der Tür gegen die grobe Bretterwand des Red Cock. Aaron fiel zu Boden, der Geruch von faulenden Essensresten und dem brackig riechenden Wasser des nahen Kanals stach ihm in die Nase. Alles drehte sich und er schaffte es einfach nicht aufzustehen. Ein heftiger Fußtritt in die Magengegend. Wütender Schmerz! Sein Körper schrie und er würgte das bisschen Stew hervor, das er gegessen hatte. War das sein Ende? Würde er hier verrecken, zertreten wie eine Ratte zwischen den Abfällen des Red Cock? Schnelle Schritte im Matsch. Er sah etwas Helles aufblitzen. Eine Klinge?
»Hey, ihr da!«
Das war nicht die Stimme des Mannes, der mit ihm gesprochen hatte. Er kannte die Stimme doch.
»Lasst ihn in Ruhe, ihr Schweine!«
Liam!
»Liam, er hat ein Messer!«, schrie Aaron. Er rappelte sich hoch, kam irgendwie auf die Knie.
Seine beiden Peiniger warfen sich dem plötzlichen Angreifer entgegen. Das Geräusch von prügelnden Fäusten, dumpfes Grunzen, wieder Gerangel, Stöhnen. Liam schrie plötzlich laut auf.
»Nein, nicht! Liam!« Aaron kam schwankend auf die Füße. Da, der Mann mit dem Messer vor ihm. Aaron fiel mehr auf ihn, als dass er sich auf ihn warf. Ein greller Schmerz durchfuhr ihn wie glühender Stahl, jagte quer durch seinen Körper. Rot explodierte vor seinen Augen.
Fallen, in einen dunklen Schacht fallen, keine Luft ... keine Luft mehr ... fallen ...
»Aaron! Aaron, Mann, komm zu dir! Herrgott!« Liams aufgeregte Stimme. Die Stimme eines Knaben: »Im Schankraum sitzt einer, der versteht sich auf Stichwunden und so'n Zeug. Soll ich ihn holen?«
»Ja, Junge,
Weitere Kostenlose Bücher