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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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überfiel ihn – die Angst, auch diesem zarten Wesen, das ihm da gegenübersaß und ihn mit Augen so voller Sanftmut und Verständnis ansah, Schmerz zuzufügen. Der Gedanke war ihm absolut unerträglich. Er durfte sie nicht wiedersehen, musste es beenden – jetzt!
    »Es wäre besser, Sie hielten sich von mir fern, Meredith. Ich werde Sie auch nicht mehr besuchen.« Im selben Augenblick bemerkte er seinen Fehler. Bedauernd beobachtete er, wie sie sich unmerklich versteifte, die schmalen, schönen Hände nun wie leblos auf dem Schoß, den Blick auf den Boden geheftet. Ein quälender Augenblick des Schweigens verstrich. Dann sagte sie – und ihre Stimme zitterte merklich dabei: »Es tut mir leid, wenn ich mich Ihnen aufgedrängt haben sollte, Sir. Das wollte ich nicht! Bitte, verzeihen Sie mir!« Sie stand auf.
    Er hatte sie gekränkt. Sie hatte sich ihm anvertraut, sie sorgte sich um ihn – unverdient, wie er wohl wusste – und er stieß sie zurück. Ein feuchter Schimmer zeigte sich nun auch in ihren Augen, diesen wunderbaren Augen. »Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Geduld und alles, was sie für die Familie Baker getan haben, Sir. Ich werde Sie nicht mehr belästigen. Ich verspreche es.« Dann wandte sie sich rasch ab und strebte dem Ausgang zu. Er sah, wie ihre Hand schnell zu ihrem Gesicht flog und ihren Mund bedeckte, als wolle sie das Aufschluchzen noch zurückhalten. Es gelang ihr nicht.
    »Meredith!« Er sprang auf. Die Leute starrten ihn an. Rasch setzte er sich wieder. Er wusste, er würde sie in unverantwortlicher Weise kompromittieren, wenn er ihr jetzt auch noch nachlief. Was hatte er getan?
    Da wurde er plötzlich einer Bewegung an der Tür gewahr. Es war Rupert Baker, der eben eintrat. Ihre Blicke kreuzten sich für einen kurzen Augenblick des Erkennens ... und dann war Baker wieder verschwunden. Vermutlich, um seiner weinenden Ehefrau nachzueilen.

Kapitel 9
    Manchester, Ashworth Spinnerei, zur gleichen Zeit
    Kapitel 9
    Einige der Frauen drängten sich trotz Boles ausdrücklichem Verbot in der Tür zum Raum des Vorarbeiters, andere pressten ihre Gesichter neugierig an die großen Fensterscheiben, die den schmalen Büroraum von der Fabrikhalle trennten. Bole sah sich noch einmal genötigt, die Weiber mit harschen Worten an ihre Plätze zurückzutreiben. Jedoch erst die Androhung, den Tageslohn zu streichen, zeigte die erwünschte Wirkung. Dr. Bloomsdale, der Arzt, schüttelte ärgerlich den Kopf.
    »Gibt es hier keine Möglichkeit, die Fenster zu verhängen?«, fragte er schon zum zweiten Mal. Bole zuckte mit den Schultern. Was kümmerte es ihn, ob die Rothaarige und das, was der Arzt mit ihr vorhatte, vor den Blicken der anderen verborgen blieb. Er hatte weiß Gott andere Sorgen!
    Ashworth hatte sich schon zurückgezogen, aber die beiden Damen standen immer noch dabei, als Dr. Bloomsdale sich wieder der Verletzten zuwandte. Zusammen mit dem inzwischen eingetroffenen Ehemann, diesem Aaron Stanton, hatten er und Bole die Arbeiterin von der Maschine weg in das Büro des Vorarbeiters getragen und auf den Tisch gehoben. Der ohnehin enge Raum war buchstäblich überfüllt.
    »Wollen die Damen wirklich hierbleiben? Das wird nicht gerade ein Spaziergang«, gab der Arzt zu bedenken. Tatsächlich sah es so aus, als hegte Mrs Ashworth kein allzu großes Verlangen danach, dem Geschehen beizuwohnen. Doch die jüngere, fremde Lady, die Mr Ashworth mit Mrs Fountley angesprochen hatte, schien keinen Fuß weichen zu wollen, was sie auch mit fester Stimme bekräftigte. Also blieb auch die Gattin seines Arbeitgebers, zog sich aber in die Nähe der Tür zurück, wo der Blick auf das Geschehen nur unzureichend gewährleistet war. Bole trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Schließlich stand ihm noch das unangenehme Gespräch mit Ashworth bevor. Doch es half nichts, er musste sich dem stellen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung drängte er sich an den Damen vorbei zum Ausgang und schloss die Tür leise hinter sich.
    Angesichts der beiden Frauen, die sich entschlossen hatten zu bleiben, seufzte Dr. Bloomsdale kurz und ein wenig resigniert: »Wie die Damen wünschen, aber auf Ihre eigene Verantwortung. Ich habe wirklich keine Zeit, Sie vom Boden aufzusammeln, sollten Sie ohnmächtig werden.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Patientin: »Ich werde zuerst noch versuchen, den Arm so gut es geht provisorisch zu versorgen«, erklärte er. »Die Frau ist jedoch im Begriff, ihr Kind zu

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