Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
Vom Netzwerk:
gebären. Ich nehme an, das war auch die Ursache für den Unfall: Die Wehentätigkeit hat eingesetzt, ziemlich heftig, wie es aussieht. Vermutlich hat sie zu schwer gehoben.«
    »Aber Cathy meinte, es dauert noch drei Wochen«, sagte Aaron mit ängstlicher Stimme. »Es wird doch alles gut gehen, Sir?«
    »Wer weiß?«, entgegnete der Mediziner. »Das kann man nie genau sagen. Geburten sind immer ein Risiko. Ist es denn ihr erstes Kind? Sie ist ja noch recht jung ...«
    »Nein ...«, Aaron zögerte einen Augenblick. »Sie war schon einmal guter Hoffnung, aber sie hat das Kind verloren. Es war eine Totgeburt.« Seine Worte klangen merkwürdig gepresst, aber er hielt dem fragenden Blick des Arztes stand.
    »Hm«, meinte der Arzt, »ich hoffe doch, diesmal wird es besser gehen und der Schock des Unfalls hat ihre Leibesfrucht nicht abgetötet.« Er zog ein bräunliches Fläschchen aus der Tasche und gab es Aaron, der es mit leicht zitternden Händen entgegennahm. »Das ist Riechsalz«, erklärte ihm Dr. Bloomsdale, »sie muss wieder richtig zur Besinnung kommen, damit sie bei der bevorstehenden Geburt mitarbeiten kann. Nur Mut«, er schenkte Aaron einen aufmunternden Blick, »so schnell ist nicht alles verloren. Halte es ihr unter die Nase, sobald ich den Arm wieder gerichtet habe. Wir haben jedenfalls keine Zeit zu verlieren. Dein Weib wird es schon schaffen, Stanton!«, sagte er fest.
    Er trat an die Seite des Tisches und schnitt mit einer großen Schere den blutgetränkten Ärmel der Verletzten auf. »Warum müssen die Weiber auch immer arbeiten, bis die Kinder kommen. Wie unvernünftig von ihnen!«, schimpfte er leise vor sich hin. »Das hätte nicht passieren müssen!«
    »Sir, ich sagte Ihnen doch, wir hatten noch nicht damit gerechnet. Ich wollte bestimmt nicht, dass das geschieht.«
    Da mischte sich die junge Lady ein. »Kommt das denn öfter vor, Dr. Bloomsdale? Ich meine, wissen Sie etwas darüber, ob es öfter zu solchen Zwischenfällen kommt?«
    Der Arzt warf ihr einen kurzen Blick über den Rand seiner Brille zu, während er rasch weiterarbeitete. »Ob das öfter vorkommt? Das können Sie mir glauben, Ma'am. Die Frauen arbeiten bis zum letzten Moment und stehen kurze Zeit später schon wieder an den Maschinen. Die Kleinen werden meistens von irgendwelchen Geschwistern oder Alten mehr schlecht als recht versorgt und die Kindersterblichkeit ist dementsprechend hoch. Wissen Sie, dass die Lebenserwartung der Arbeiterklasse bei beklagenswerten fünfzehn Jahren liegt? Die Kinder sterben hier wie die Fliegen. Viele erreichen nicht einmal das zweite Lebensjahr.«
    »Oh!«, sagte Mrs Fountley betroffen ob der schonungslosen Auskunft des Mediziners. »Nein, das wusste ich nicht. Ist es in den anderen Städten genauso?«
    »Nun, seit Kurzem werden im Auftrag des Magistrats Statistiken darüber veröffentlicht. Tatsächlich ist die Situation in Städten wie Manchester und Birmingham verheerend. Allerdings ist es in London auch nicht sehr viel besser. Aber was will man machen? Die Leute hungern, die Unterkünfte sind eine Katastrophe. Sie sterben an Krankheiten und Unterernährung. Es ist eine Schande, aber ich weiß nicht, wie das zu lösen sein soll. Es kommen einfach viel zu viele Menschen hierher auf der Suche nach einem Auskommen – und sei es auch noch so dürftig. Die Stadt platzt aus allen Nähten.« Mittlerweile war der verletzte Arm vollständig freigelegt. Er warf einen prüfenden Blick darauf und drehte dann die blutige Gliedmaße vorsichtig hin und her. »Ah«, brummte er mit einem aufmunternden Lächeln zu Aaron hin, der mit versteinerter Miene dabeistand, »Gott sei Dank, deine Cathy – so heißt sie doch, nicht wahr? – hatte Glück im Unglück. Die Schulter ist nur ausgekugelt, das kann ich sofort einrenken. Und der Unterarm ist zwar gebrochen, aber es ist ein glatter Bruch. Ich werde die Knochen wieder in die richtige Position schieben und den Arm dann provisorisch schienen. Die Fleischwunden, die die Haken ihr gerissen haben, werde ich nähen, wenn sie das Kind geboren hat. Das hat noch einen Augenblick Zeit. Wir machen so lange einen festen Verband, das halte ich für das Beste im Augenblick. Gut, dass ich gleich geholt worden bin. So werden wir den Arm wieder hinbekommen und es wird nichts zurückbleiben außer ein paar Narben. Aber sie wird längere Zeit nicht arbeiten können.«
    »Danke, Sir!«, sagte Aaron knapp. Er wischte sich kurz mit dem Ärmel über die Augen. Dann hatte er sich wieder in

Weitere Kostenlose Bücher