Stadt der Schuld
den Wogen der Lust. Der Augenblick der Ekstase kam, explodierte! Sie schrie auf, rief laut seinen Namen. Er lauschte für einen Moment fasziniert, dann ergoss er sich. Keuchend brach er über ihr zusammen, spürte, wie sie ebenfalls nach Atem rang. Er küsste sie leidenschaftlich und drehte sich, sie fest in seinen Armen haltend, auf den Rücken, sodass sie auf ihm zu liegen kam. Sie war leicht wie frisch gefallener Schnee. Gemeinsam kamen sie wieder zur Ruhe. Dann kreuzte sie die Arme über seiner Brust, stützte ihr Kinn auf und sah ihm in die Augen. »Wir sollten etwas essen, Horace. Ich habe Hunger.«
»Die Zugehfrau hat heute Morgen einen Korb in die Küche gestellt, als du noch geschlafen hast.«
Meredith lächelte verschmitzt: »Sie ist überhaupt eine sehr verständige und rücksichtsvolle Frau, diese Mrs Giles.«
»In der Tat, das ist sie!«, bestätigte er mit einem Grinsen. »Dieses Cottage war lange Zeit meine Junggesellen-Klause während meiner Ausbildung zum Kaufmann in Portsmouth. Ich hatte mir schon damals durch geschickte Börsengeschäfte ein wenig Geld zur Seite legen können. Manchmal habe ich mich dann auch in späteren Jahren hierher zurückgezogen, wenn ich ein paar Tage von den Geschäften ausspannen wollte.«
»Soso ...«, meinte Meredith und in ihren Augen blitzte der Schalk, »und vermutlich warst du dabei immer ein Freund inönchischer Klausur.«
Jetzt lachte er. »Ja, aber sicher!« Dann wurde er plötzlich ernst. »Meredith, hör mir zu. Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich mit ganzer Seele, ja, mit allem, was ich bin. Ich schwöre es!« Er umarmte sie heftig. »Ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten, dass ich jemals so empfinden könnte, ich ...«, einen Augenblick rang er um Worte, »ich muss zugeben, meine Beziehungen zu Frauen waren immer anderer Natur. Ich habe ...« Seine Gesichtszüge verkrampften sich gequält.
»Schhh!« Sie legte sanft einen Finger auf seine Lippen. »Lass, Horace! Das alles ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass du mich liebst und dass ich dich liebe. Jetzt, in diesem Moment. Wir wollen einfach glücklich sein und nicht an das Gestern und nicht an das Morgen denken. Bitte!« Sie seufzte tief, erhob sich und schlang die über dem Fußende liegende Decke um ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt. »Vor allem nicht an das Morgen ...«, sagte sie bekräftigend. Dann drehte sie sich zu ihm um und lächelte ihn an. »Ich werde uns etwas zu essen bereiten. Bleib ruhig liegen, mein hübscher Ritter.«
Havisham verschränkte die Arme im Nacken und streckte sich genüsslich. Es war ihm gleich, dass er splitternackt war. Nichts wäre natürlicher gewesen. Seit Tagen verbrachten sie ihre Zeit damit, sich zu lieben, zu essen, zu schlafen und, wenn es die Witterung erlaubte, ein wenig spazieren zu gehen. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Ja, er fragte sich, ob er sich je so wohl gefühlt hatte. Was für ein Glück, eine Gnade, dass er diese Frau getroffen hatte und als noch größeres Geschenk empfand er ihre Liebe. Vielleicht würde alles gut werden, vielleicht würde er wieder zu seiner inneren Stärke zurückfinden, wenn sie nur an seiner Seite blieb.
Er hörte, wie sie sich in der Wohnküche des kleinen Cottages zu schaffen machte. Das einsam gelegene Häuschen, nah bei den Hügeln platziert und aus dem rauen Gestein des Landes gebaut, bestand lediglich aus zwei Räumen und drei schmalen, ungeheizten Kammern unter dem Dach, die er nie nutzte. Meredith summte etwas vor sich hin. Horace spitzte die Ohren. Er kannte das Lied. Zuletzt hatte er es als Kind gehört. Damals – als er noch ein unschuldiger Junge war, ohne Kenntnis von der Jagd nach Geld, Bedeutung und Einfluss, die bald darauf sein Leben bestimmen sollte.
Doch dann hörte er Schritte draußen auf dem Kiesweg, der zum Haus führte. Wer konnte das sein? Niemand außer Mrs Giles, die sich schon seit bald zwei Dekaden um sein kleines Refugium kümmerte, wusste, dass sie hier waren. Was wollte sie? Sie kam doch sonst nur am Morgen, um ihnen ein paar Nahrungsmittel zu bringen, wie er sie angewiesen hatte. Jetzt war es später Nachmittag. Es wurde schon langsam dunkel. Ein zaghaftes Klopfen – dann Merediths Stimme. »Mrs Giles? Ah, einen Moment, ich werde gleich öffnen.«
»Ich habe eine Nachricht für Sie, Ma'am. Ein Bote hat sie eben gebracht aus London.«
Er hörte, wie Meredith sich hastig auf die Tür zu bewegte. Im Nu war er aus dem Bett. »Schieben Sie sie bitte einfach
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