Stadt der Schuld
drehte sie sich um und verließ das Schlafzimmer. Ein Feixen stahl sich auf ihr Gesicht. Wie praktisch, dass sie den Mann in einer derartig kompromittierenden Situation überrascht hatte. Das gab ihr einen unerwarteten Vorteil in die Hand.
Ein paar rüde Worte später rannten die beiden Prostituierten eilig, nur notdürftig bekleidet und das meiste ihrer billigen Habe in den Armen haltend, an ihr vorbei zur Ausgangstür des Apartments. Die Blonde war aber offenbar nicht ganz auf den Mund gefallen. Die Hand schon auf der Türklinke, keifte sie: »Du schuldest uns noch was, Rob Armindale!«
Armindale war, in einen edlen seidenen Morgenmantel gekleidet, ebenfalls in der Tür erschienen. »Ich sagte: später, Elfie!«
»Später, später ... ha! Wenn ich das Geld nich' kriege, kannst du was erleben! Ich lass mir nich' umsonst vögeln, selbst wenn da 'ne ganze Herde von so 'ne feine Damen durch deine Wohnung trampelt!«
»Raus jetzt!«, schnauzte Armindale in einem beachtlich groben Tonfall.
Isobel ließ ihren Blick interessiert über seine Gestalt wandern. So schlecht sah dieser Mr Armindale eigentlich gar nicht aus. Für einen Mann ein wenig zu zierlich vielleicht, aber er hatte etwas Raubtierhaftes an sich. Jäh stieg die Erinnerung an Aarons geschmeidige Bewegungen in ihr auf. Dass ihr diese Ähnlichkeit nicht schon früher aufgefallen war! Etwas in ihrem Schoß regte sich.
»Raus!«, zischte Armindale noch einmal drohend und schlug zur Bekräftigung mit der flachen Hand auf die Kommode neben der Tür. Elfie zuckte zusammen. Dann zog sie es vor, so wie ihre rothaarige Gefährtin besser den Rückzug anzutreten. Nicht ohne »Rob« Armindale vorher noch einmal die Zunge herauszustrecken.
Armindale kümmerte es nicht weiter. Mit ausgesuchter Höflichkeit wandte er sich Isobel zu und lud sie mit einer Geste ein, auf einer Sitzgruppe in einer Nische des Raums Platz zu nehmen. »Ich freue mich, dass Sie sich nun doch dazu entschlossen haben, mich aufzusuchen, Mrs Havisham«, begann er, als wäre nichts gewesen, in einem geschäftsmäßigen, aber freundlichen Tonfall, »tatsächlich kann es Ihnen nicht gleichgültig sein ...«
»Mr Armindale«, fiel ihm Isobel ins Wort, »es tut mir leid, Sie ein weiteres Mal enttäuschen zu müssen. Ich komme nicht hierher, um den haltlosen Verdächtigungen, die Sie gegen meinen Mann glauben vorbringen zu können, auch noch Nahrung zu geben. Das liegt mir fern!«
Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben. »Aber Mrs Havisham, es ist eine unumstößliche Tatsache, dass Ihr bedauernswerter Bruder einem Auftragsmord zum Opfer gefallen ist. Und ich habe berechtigte Gründe zu glauben, dass Ihr Gatte dabei die Finger im Spiel hatte«, wandte er ein.
»Ich würde wirklich gerne hören, welche Beweise Sie dafür haben. Ich habe in unserem letzten Gespräch nicht den Eindruck gewonnen, dass Sie wirklich etwas Konkretes ins Feld führen können, ich hörte nur vage Vermutungen. Oder haben Sie vielleicht Ihre Karten nicht vollständig auf den Tisch gelegt?«
»Nun ...«, sagte Armindale gedehnt, »ausschlaggebend für eine solche Tat ist doch immerhin das Motiv. Und ein Motiv hatte Ihr Gatte allerdings.«
Isobel lachte demonstrativ auf: »Ach, und allein aus der Tatsache, dass der Tod meines Bruders Vorteile für meinen Gatten barg, glauben Sie ableiten zu können, dass er der Schuldige ist? Da könnten Sie genauso gut mich verdächtigen!« Im selben Moment merkte sie an Armindales lauerndem Blick, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
»Darf ich fragen, ob Sie und Ihr Gatte sich schon vor Ihrer Verlobung sehr nahestanden? Eventuell auch ohne Wissen Ihres Vaters?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an!«, schnappte Isobel. »Aber wenn Sie es genau wissen wollen: Nein! Ich kannte ihn kaum. Er war ein Geschäftsfreund meines Vaters, der hin und wieder bei uns zu Besuch war, weiter nichts. Und er hat schließlich, um den Besitz meines Vaters zu retten, den dieser aus Unfähigkeit aufs Spiel gesetzt hatte, erhebliche Geldmittel aufgebracht. Ich denke, dass dies die Übernahme Whitefells vor der Zeit rechtfertigt, ohne dass Sie derartige Verdächtigungen in die Welt setzen. Sie waren es doch, der meinem armen Vater diesen Unsinn eingeredet hat, oder habe ich unrecht?«
»Hm!«
Einen Augenblick starrten sie sich stumm an. Dann sagte Isobel kalt: »Sie haben Glück, dass ich meinem Mann im Moment nicht davon berichten kann, da er sich für einige Tage außerhalb Londons aufhält. Sonst
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