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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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unbarmherzig in seine nackte Haut biss. Aber das störte ihn nicht. Ohnehin war er zu müde, um es übermäßig wahrzunehmen. Und das, was er davon spürte, tat ihm gut. Ein kurzer Moment nur und ein Schluck Wasser – dann musste er wieder hinunter. Die Dampfmaschinen durften nicht stillstehen, sonst kam die ganze Produktion ins Stocken.
    Da bemerkte er plötzlich, wie sich eine größere Gruppe von Besuchern in seine Richtung bewegte. Mr Ashworth war dabei – natürlich! –, dazu sein Weib und diese Frau, die bei Klein-Merys Gehurt zugegen gewesen war, Isobels Cousine! Aaron erschrak. Auf keinen Fall wollte er dieser Mary-Ann Fountley, Gattin des zukünftigen Barons of Tounton, noch einmal begegnen. Das war schlicht zu gefährlich. Gerade wollte er sich unauffällig zurückziehen, als zwei der Gentlemen sich aus der Gruppe lösten und rasch auf ihn zukamen. Auch Ashworth beschleunigte seinen Schritt, so wie ein weiterer braunhaariger, gut gekleideter Mann, den er nicht kannte, der aber offenbar ziemlich wichtig war. Die anderen Personen wichen respektvoll zurück, als er zwischen ihnen hindurchging. Aaron spürte, wie sein Puls zu jagen begann. Was wollten sie von ihm?
    Da waren die beiden ersten Männer schon bei ihm angekommen. Einer zückte routiniert einen Schreibblock und fragte, ohne sich vorzustellen: »Seit wann arbeiten Sie schon für die Ashworth Spinnerei, guter Mann?«
    Aaron starrte ihn verdutzt an. Doch dann kam ihm der Gedanke, dass es sich wohl um einen Journalisten handeln musste. Ashworth versuchte offenbar, sein Image – oder zumindest das seines Unternehmens – aufzupolieren. Und ausgerechnet er, Aaron, sollte dazu beitragen?! Diesen Gefallen würde er ihm gewiss nicht tun. Störrisch presste er die Lippen aufeinander. Lieber biss er sich die Zunge ab.
    »Nun ...?«, fragte der Mann noch einmal und sah ihn auffordernd an.
    »Dieser Mann arbeitet seit knapp zwei Jahren für mich«, sagte Ashworth kühl, der nun ebenfalls hinzugetreten war, und fasste Aaron scharf ins Auge. Für einen Moment gab Aaron diesen Blick ebenso unnachgiebig zurück, dann aber wandte er sich, scheinbar gleichmütig, dem Fragesteller zu. »Ich muss wieder hinunter, tut mir leid.«
    Der Journalist lächelte erfreut: »Ah, ein besonders fleißiges Exemplar, wie mir scheint.«
    »Nein, Mr Layton, der Mann arbeitet offenbar als Heizer an den Dampfmaschinen, wie sie unschwer an seiner Bekleidung und dem rußverschmierten Äußeren erkennen können«, erklärte der vierte Mann, der nun auch herangekommen war, an Ashworths statt sowohl dem neugierigen Journalisten wie den Besuchern, die ihm gefolgt waren. »Ich muss schon sagen, junger Mann, zwei Jahre an den Ofen ist eine beachtliche Leistung. Die meisten halten es nicht so lange aus.«
    Aaron, der sich schon abgewandt hatte, drehte sich ruckartig wieder um. Plötzlich war es ihm gleich, ob er sich um Kopf und Kragen redete. Ashworths verhasste Gegenwart ließ ihn alle Vorsicht in den Wind schlagen: »Ich arbeite erst seit Kurzem dort. Mr Ashworth hat mir die Stelle freundlicherweise offeriert, nachdem ich ihm für die Stelle als Transportmeister offenbar nicht gut genug war.« Er legte keinen Wert darauf, seine tief sitzende Verbitterung zu bemänteln. »Zuvor habe ich am Hopper Feeder gearbeitet.«
    »Aber, guter Mann«, versetzte der Fremde in einem leicht erstaunten, wenn auch freundlichen Tonfall, »es dürfte Ihnen doch sicher bekannt sein, dass Posten wie der eines Transportmeisters nur an qualifizierte Männer vergeben werden, die vor allem des Lesens, Schreibens und Rechnens kundig sein müssen. Das wird doch wohl kaum der Fall sein, nicht wahr?« Er lachte und schlug Aaron dabei jovial auf die Schulter. Die Umstehenden quittierten dies ebenfalls mit amüsiertem Gelächter. Aaron kochte vor Wut. Nicht genug, dass Ashworth ihm aus Missgunst – oder was sonst seine Gründe gewesen sein mochten – diese Drecksarbeit zumutete ... nun sollte er sich auch noch verspotten lassen? Schon wollte er diesem feinen Gentleman eine zornige Antwort entgegenschleudern, da fiel sein Blick zufällig auf Mrs Ashworth, die ihren Mann plötzlich anstarrte. Ihr Gesichtsausdruck ließ ihn innehalten. Ein plötzliches Verstehen war darin zu lesen, dann jäh auflodernder Zorn – ein Zorn, der sich ohne Frage gegen Henry Ashworth, ihren eigenen Gatten, richtete.
    »Sir, ich sagte Ihnen bereits, ich muss dringend wieder hinunter«, murmelte Aaron abwehrend und gleichermaßen irritiert. Was

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