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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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nicht wahr?«, fuhr sie sie an. »Dass du dich nicht schämst! Ein junges Ding wie du! Ein Flittchen bist du! Mach, dass du hier rauskommst und lass dich nie wieder blicken!«
    Ein schneller Blick des Mädchens hin zu Ashworth, doch der war offensichtlich nicht willens, Partei für sie zu ergreifen. Da klaubte sie hastig ihre ärmliche Kleidung vom Boden auf und beeilte sich, das Schlafzimmer ihres Arbeitgebers zu verlassen – und zwar so schnell sie konnte.
    »Hast du völlig den Verstand verloren?«, herrschte Deodra ihren Gatten an, kaum dass sich die Tür hinter Mary geschlossen hatte. »Draußen im Hof stehen Cobden und die halbe Presse Englands versammelt und du hast nichts Besseres zu tun, als mit diesem Kind ...!« Sie rang nach Atem. »Du Hurenbock!!«
    Ashworth gelang es nur schwer, sein Schuldbewusstsein zu verbergen. Tatsächlich hatte er die Zeit vergessen, als er sich seinen inzwischen fast täglichen Vergnügungen mit der Kleinen widmete. Zu dumm! Wie hatte ihm das nur passieren können? Und nun war ihm auch noch Deodra dazwischengekommen und hatte ihn in flagranti überrascht. Wie überaus lästig! Das würde sie ihm noch vorwerfen, wenn er alt und grau war, dessen war er sich sicher. Hastig kleidete er sich an, während weitere Schimpfkanonaden über ihn hereinbrachen. Sein Weib – ohnehin kein Ausbund an Geduld und Sanftmut – lief zu wahrer Hochform auf. Schließlich hatte er genug: »Schweig!«, schrie er sie an. »Ja, mein Gott, ich habe die kleine Schlampe gevögelt! Und? Was ist schon dabei?«
    Deodra schnappte empört nach Luft. »Was dabei ist, willst du wissen? Das fragst du noch? Dass du dich nicht schämst ...!«
    Unwillig wandte er sich ab. Zum Donnerwetter, er bekam einfach seine Halsbinde nicht ordentlich geknüpft. Und draußen wartete Cobden und Gott weiß, wer sonst noch alles. Er hätte sich ohrfeigen können.
    Da trat Deodra auf ihn zu, schlug seine zitternden Hände zur Seite und begann, ihm mit kundiger Hand die Binde zu knüpfen. Er vermied es angestrengt, ihr dabei in die Augen zu sehen.
    »Ich erwarte, dass das nicht noch einmal vorkommt«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Du wirst dieses schamlose Geschöpf umgehend entfernen, sonst wirst du erleben, wozu ich fähig bin.«
    Er hatte durchaus Respekt vor ihrer Drohung. Sie brachte es fertig und machte ihn, ungeachtet der Konsequenzen für sie selbst, gesellschaftlich unmöglich. Das konnte er sich einfach nicht leisten, nicht jetzt!
    Dann war sie fertig und trat zur Seite. Sie wussten beide, was auf dem Spiel stand. Es galt jetzt, einen guten Eindruck bei den Besuchern und vor allem bei der Presse zu hinterlassen. Deodra atmete noch einmal tief durch, strich sich eine Haarsträhne, die sich unter ihrem Hut gelöst hatte, aus dem Gesicht und ging in Richtung Tür. Er folgte ihr. Eines war jedenfalls gewiss: Für seine Frau war die Sache längst noch nicht ausgestanden. Er würde sich etwas einfallen lassen müssen.
    ***
    Aaron richtete sich auf, strich sich mit dem Unterarm den Schweiß aus der Stirn und spie einen Klumpen schmutzig-braunen Sputums aus. Die grobe Lederschürze klebte förmlich an seinem Körper und seine Glieder schmerzten inzwischen fast so sehr wie seine Lunge. Er brauchte eine Pause. Den Arbeitern an den Dampföfen war es erlaubt, zu jeder vollen Stunde einen Augenblick in den Hof hinaufzusteigen, um einen Schluck aus der dort aufgestellten Wassertonne zu trinken und ein paar Atemzüge frische Luft zu schöpfen. Dennoch brach hin und wieder einer ohnmächtig zusammen. Die Hitze, die von den weit aufgerissenen, glutroten Mäulern der Dampföfen ausging, war mörderisch. Ein kurzer Ruf über den ohrenbetäubenden Lärm der Maschinen hinweg zu Liam, seinem neuen Schichtkollegen, und Aaron machte sich auf den Weg die wenigen Stufen hinauf in den Fabrikhof. Die Dampfmaschinen waren in Ashworths Spinnerei, wie in vielen Fabriken, an der Ostseite des Gebäudes in einem Raum untergebracht, der etwas tiefer als die übrigen Fertigungsräume lag. Dessen Mauern waren sehr dick, um den Lärm nach draußen zu dämpfen, aber das erwies sich mehr oder weniger als hoffnungsloser Versuch. Das helle Pochen und dumpfe Stampfen der Zylinderschwengel, das Fauchen und Zischen der Ventile und das Kreischen der Transmissionsriemen auf den Umlenkrädern und Wellen war auch hier oben deutlich zu hören. Erschöpft lehnte Aaron sich einen Augenblick an die Ziegelmauer des lang gestreckten Gebäudes und spürte, wie die Kälte

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