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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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deutlicher Verspätung seine Arbeit wieder aufgenommen hatte. Aaron konnte ihn durchaus verstehen. Die Dampfmaschinen waren wie kapriziöse Weiber, ständig verlangten sie nach Aufmerksamkeit. Andernfalls drohte der Kesseldruck abzusinken, oder was noch viel schlimmer war: sie überhitzten sich und dann folgte womöglich die Explosion. Ashworths Fabrik wäre nicht die erste, die auf diese Weise bis auf die Grundmauern niederbrennen würde mit vielen Todesopfern. Immer wieder las man von solchen schrecklichen Unglücken in den Zeitungen. »Ja, ja!« Liam schlug ihm kräftig mit seiner riesigen Pranke zwischen die Schulterblätter. Der baumlange Kerl war im Grunde sanftmütig. Auf jeden Fall ein weitaus besserer Arbeitskollege als Tom Clarke, das Schwein.«Hab's nicht so gemeint. Bis morgen dann. Grüß dein Weib und die Kleine von mir.«
    »Hmhm.« Aaron nickte dem Mann abwesend zu, während weitere Arbeiter auf dem Weg nach Hause an ihm vorbeiströmten. Dann machte er sich auf zum anderen Ende der Straße.
    Als er die Kutsche erreichte, sah er, dass die Vorhänge des Gefährts geschlossen waren. Mrs Ashworth wahrte offenbar Diskretion. Schnell blickte er sich noch einmal um, ob ihn auch niemand beobachtete, doch die meisten der Arbeiter waren schon in den Nebengassen oder aber in den Schenken verschwunden. Entschlossen klopfte er an den Kutschenverschlag. Eine weibliche, behandschuhte Hand winkte ihm, in die Kutsche zu steigen. Ohne einen Moment des Zögerns tat er, wie ihm geheißen worden war.
    »Ma'am ...«, begrüßte er Mrs Ashworth kurz und setzte sich dann der Ehefrau seines Arbeitgebers gegenüber auf die gepolsterte Bank des luxuriösen Gefährts. Schwaches Licht aus einer an der Wand befestigten kleinen Petroleumlampe erleuchtete das Innere der Kutsche, tauchte das Treffen in einen unwirklichen Dämmer und ließ das üppig mit Diamanten besetzte Collier von Mrs Ashworth an ihrem Dekolleté aufglänzen. Offenbar wollte sie noch ins Theater oder an einer Gesellschaft teilnehmen.
    »Mr Stanton«, begrüßte sie ihn mit einem zufriedenen Lächeln. »Ich freue mich sehr, dass Sie meiner Einladung nachgekommen sind.« Sie hob einen schlanken Stock, der wohl extra zu diesem Zweck zu ihrer Rechten lag, und klopfte damit an die Vorderwand des Gefährts. Kurz darauf setzte sich der Zweispänner in Bewegung. »Ich denke, es ist besser, wir fahren ein wenig, während wir reden. Wir brauchen keine Zeugen, nicht wahr? Da fällt mir ein, hat Sie jemand beobachtet, als Sie einstiegen?«
    Aaron schüttelte den Kopf »Nein, Ma'am, ich habe natürlich darauf geachtet.«
    »So ist's gut.« Sie lächelte erneut, nun ein wenig nervös. Ihr Blick huschte für einen Augenblick zur Seite, hin zu den verhängten Fenstern.
    »Mrs Ashworth«, begann Aaron zögernd, »Sie deuteten an, Sie wüssten vielleicht den Grund, warum ...«
    Sie fiel ihm ins Wort. »Mr Stanton, mir ist durchaus bewusst, dass mein Vorgehen vielleicht recht ungewöhnlich auf Sie wirken mag, aber glauben Sie mir, ich habe meine Gründe. Mein Mann ...« Sie schwieg einen Augenblick, als falle es ihr schwer weiterzusprechen. Dann fuhr sie mit seltsam veränderter Stimme fort. »Mr Ashworth hat mir heute Nachmittag eindrucksvoll gezeigt, was der Grund für seine unverständliche Entscheidung bezüglich des Postens, der Ihnen, wie Sie sagten, schon so gut wie versprochen war, sein könnte.«
    Gespannt beugte sich Aaron nach vorne und sah der Frau ins Gesicht. Steckte wirklich Tom Clarke und sein loses Maul hinter der ganzen Misere?
    »Sagen Sie, Mr Stanton, dieses Mädchen, diese Mary, wohnt die noch bei Ihnen?«
    »Mary?«, gab Aaron irritiert zurück. Damit, dass die Sprache in diesem Zusammenhang auf Mary kam, hatte er nicht gerechnet, doch dann dämmerte ihm die Wahrheit. »Also doch! Der ehrenwerte Herr Fabrikbesitzer vögelt das junge Ding, habe ich recht?«
    Die jäh auflodernde Wut in den Augen der Frau bestätigte ihm seine Vermutung umgehend. Doch schnell hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie war eine Lady, ohne Zweifel, wenn auch krank vor Eifersucht und Demütigung. »Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie ebenfalls keine Kenntnis davon hatten, Mr Stanton.«
    Aaron schüttelte verneinend den Kopf. »Allerdings hatte ich so einen Verdacht, zumindest seit Kurzem. Sie brachte immer wieder irgendwelche Kleinigkeiten mit nach Hause, Essen oder anderes. Ich erfuhr erst kürzlich davon und habe mir daraufhin meinen Teil gedacht, aber wirklich gewusst habe ich es

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