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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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regelrecht Heimweh. Doch jedesmal, wenn ich länger hierbleiben mußte, konnte ich es kaum erwarten, mit dem nächsten Zirkus weiterzuziehen.«
    In der Straße stand ein Karren mit hydroponisch gezogenem Obst. Der Verkäufer unterhielt sich mit einem Kunden. Ohne zu überlegen, griff Alter nach einer Melone und schob sie hastig unter ihren Mantel. An der nächsten Ecke brach sie sie auseinander und hielt Jon eine Hälfte entgegen. Aber er lehnte ab. Sie blickte ihn erstaunt an. Nach einer Weile lächelte er und sagte:
    »Es ist merkwürdig, ich war fünf Jahre im Straflager, aber ich habe nie in meinem Leben etwas gestohlen. Ehe ich eingesperrt wurde, hatte ich alles, was ich nur wollte, und als ich dann im Lager war, kam ich überhaupt nicht auf die Idee. Und jetzt stehe ich im Sold der Herzogin. Als ich dich die Melone stehlen sah, war meine erste Reaktion moralische Entrüstung, deshalb …«
    Alter blickte ihn mit großen Augen an, dann runzelte sie die Stirn. »Ja, es war wohl dumm von mir … Ich hatte mich gerade erinnert, wie ich Obst klaute, als ich noch klein war. Aber es stimmt natürlich, Jon, stehlen ist unrecht …«
    »Dann dachte ich mir«, fuhr Jon fort, ohne auf ihre Worte einzugehen, »sie kommt aus dem Kessel, ich komme aus der Nabe. Es ist gibt so viele Moralbegriffe und Sitten, die diese beiden Welten voneinander unterscheiden und trennen. Und da überlegte ich, wie man all das umgehen und sich wirklich berühren kann.«
    Sie öffnete die Lippen, doch dann schloß sie sie wieder und sah ihn nur an.
    »Du sagst, stehlen ist unrecht. Vergiß nicht, ich bin ein Mörder. Aber wie berühren wir uns? Ich bin der Sohn eines reichen Mannes, und du bist ein Zirkusmädchen aus dem Kessel. Ich glaube, daß ich ins Haus meines Vaters zurückkehrte, wo ich meine Kindheit verbrachte, hat zu meinen Überlegungen geführt. Aber ich habe eine Antwort: Wir berührten uns bereits – in allem, was du mich gelehrt hast, wie ich meinen Kopf zurücklegen, mein Kinn einziehen, die Knie an die Brust drücken und rückwärtsrollen muß. Und wir können uns ganz einfach berühren, so …« Er nahm ihre Hand. »Und so.« Er griff nach einer Melonenhälfte und biß hinein.
    Sie drückte seine Hand. »Ja, aber es gibt auch das Nichtberühren. Erinnerst du dich an die Zeit auf Petras Gut, ehe wir nach Toron zurückkehrten? Ich vergeudete soviel Zeit, mir dumme Gedanken über die Etikette zu machen, beispielsweise, welche Gabel man zuerst aufhebt, wann man aufstehen oder sich setzen muß, bei wem man sich erlauben kann, offen die Meinung zu sagen. Wenn man versucht, einen Krieg zu beenden, ist es wirklich sehr unnütz und dumm, die Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden. Aber ich konnte nicht anders. Weißt du, früher dachte ich, es genügt, einfach herumzusitzen und darauf zu warten, daß von selbst etwas geschieht, und das einzige, worüber man sich Gedanken machen müßte, wäre die nächste Mahlzeit. Aber allein eure Gesellschaft, deine und Petras, lehrte mich, daß man selbst die Initiative ergreifen, daß man etwas tun und lernen muß, weil man sonst viel zuviel Zeit damit verbringt, sich unsicher zu fühlen.« Sie zuckte die Schultern. »Das ist vermutlich der Grund, weshalb Tel und ich dort soviel zusammen waren. Obwohl er vom Festland kam, war er mir in seiner Art doch sehr ähnlich.« Ihre Finger spielten kurz mit den Muscheln ihrer Halskette. »Doch nun ist er tot, im Krieg gefallen. Was tue ich jetzt?«
    »Hast du ihn geliebt?«
    Alter blickte zu Boden. »Ich habe ihn sehr gern gehabt.« Sie sah zu Jon auf. »Aber er ist tot.«
    Nach einer Weile fragte Jon. »Was wirst du also tun?«
    »Lernen«, erwiderte sie. »Du wirst mich lehren müssen, so wie ich dich in Akrobatik unterrichte.« Nun lachten sie beide.
    Ein verhältnismäßig stabiles Steinhaus stand zwischen baufälligen und windschiefen Bretterhütten und Wellblechbaracken. Als sie die Tür öffneten, murmelte Alter, »hoffentlich ist nicht alles …« Abrupt hielt sie inne und riß die Augen auf.
    Die Frau hinter der Theke, mit dem Muttermal an der linken Wange, blickte hoch. Dann wich sie zurück und öffnete stumm den Mund.
    »Tante Rara!« flüsterte Alter ungläubig.
    Die Frau rannte von hinter der Theke hervor und wischte ihre Hände an der Schürze ab. Mitten im Schritt hielt sie an, den Mund immer noch geöffnet. Sie schüttelte den Kopf, schluckte und lief weiter auf die beiden zu. Alter rannte ihr entgegen und warf die Arme um die Schultern

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