Stadt der tausend Sonnen
der Älteren. »Tante Rara!«
»Alter! Wie – wo …?« Sie schüttelte erneut den Kopf. Nun strahlte sie über das ganze Gesicht, während gleichzeitig die Tränen über ihre Wangen perlten. »Du bist wieder da!« Ihre Stimme klang rauh und glücklich.
Die Gäste der Kneipe, viele in Militäruniform, blickten sie erstaunt an.
Alter machte einen Schritt rückwärts und betrachtete ihre Tante. »Tante Rara, du arbeitest hier?«
»Hier arbeiten? Die Kneipe und die Pension gehören mir. Ich habe meinen Gewerbeschein.«
»Es gehört dir?«
»Ich habe alles mögliche getan und zur Seite gelegt, was ich nur konnte. Eine praktisch veranlagte Frau schafft vieles, wenn sie es sich fest in den Kopf gesetzt hat. O Alter, ich habe überall nach dir gesucht …«
»Ich nach dir auch, aber Geryns altes Haus war abgerissen.«
»Ja, leider. Eine Zeitlang arbeitete ich als Aushilfsschwester für Humanmedizin. Ich habe in allen Zirkussen, die nach Toron kamen, nach dir gefragt.«
»Ich begann erst vor ein paar Monaten wieder zu arbeiten.«
»Gerade da gab ich die Suche auf.« Wieder schüttelte Rara den Kopf und blinzelte, um die Tränen zurückzudrängen. »Ich bin so froh, daß du da bist!« Sie umarmten sich erneut.
»Tante Rara«, Alter rieb sich die Augen mit dem Handrücken. »Ich möchte dich etwas fragen. Kannst du mir helfen? Es handelt sich um jemanden, der hier wohnte.«
»Ich helfe dir, wo ich kann«, versicherte ihr Rara. Jetzt erst bemerkte sie Jon. »Junger Mann«, bat sie ihn, »passen Sie doch einstweilen auf den Laden auf, während ich mich kurz mit meiner Nichte unterhalte.«
»Oh, Tante Rara, das ist Jon Koshar, mein Freund«, sagte Alter erst jetzt.
»Nett, Sie kennenzulernen.« Rara nickte. »Seien Sie so lieb und passen Sie auf, daß nicht gerade etwas Kataklysmisches passiert.« Sie warf einen Blick auf die Gäste. »Lassen Sie niemanden gehen, ohne daß er bezahlt hat. Allerdings sieht es nicht so aus, als hätte jemand die Absicht, schon aufzubrechen.« Sie nahm Alter an der Hand und ging mit ihr zum Nebenzimmer. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Schenken Sie sich etwas ein, wenn Sie möchten.« Plötzlich drückte sie ihre Hand ans Herz und holte laut Luft. »Gießen Sie jedem einen Drink ein!« Dann zog sie Alter hinter sich in das Nebenzimmer.
Grinsend stellte Jon sich hinter die Theke und füllte ein Glas, dann setzte er sich neben einen Soldaten an der Bar. Der Mann blickte flüchtig hoch und nickte abwesend. Alters unerwartetes Wiedersehen mit ihrer Tante ließ Jon gesprächig werden. »Ihr macht euch wohl einen vergnügten Abend?« wandte er sich an den Uniformierten. »Wie geht’s?«
Der Mann blickte wieder hoch. »Sie hätten eher fragen sollen: ›Was tun Sie?‹« Er starrte Jon an. »Ja, das ist die Frage.«
»Also gut«, meinte Jon. »Was tun Sie?«
»Ich besaufe mich.« Der Mann hob seinen Krug mit grüner Flüssigkeit und zeichnete mit den Fingern den Ring nach, den er auf der Bar hinterlassen hatte. Jon wurde klar, daß etwas im Kopf des Uniformierten vor sich ging, und er achtete auf dessen Ton, als der Mann fortfuhr. »Ich versuche, mich zu verkriechen, im Glas, meinetwegen.« Eine Menge leerer Krüge standen vor ihm.
»Weshalb?« fragte Jon und bemühte sich, den Zynismus des anderen mit seiner eigenen guten Laune zu vereinbaren.
Jetzt erst drehte der Uniformierte sich ihm so zu, daß Jon sein Rangabzeichen sehen konnte. Er war demnach ein Hauptmann vom Psychokorps. »Wissen Sie«, murmelte der Offizier mit alkoholschwerer Zunge. »Ich bin einer von denen, die über den Krieg Bescheid wußten, ihn planten und seine Durchführung berechneten. Wie geht es Ihnen, Mitbürger? Ich bin erfreut, Ihnen die Hand schütteln zu dürfen.« Aber er bot Jon die Hand nicht an, sondern wandte sich wieder seinem Getränk zu.
Normalerweise wäre es Jon nie eingefallen, sich jemandem aufzudrängen, aber heute abend war es irgendwie anders. »Wissen Sie …«, sagte er.
Der Psychooffizier blickte wieder auf.
»… ich war nicht in der Armee, aber manchmal habe ich das Gefühl, daß mir dadurch etwas entgangen ist. Wenn sonst nichts, dann vielleicht die Erfahrung, die aus Jungs Männer macht.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, erwiderte der Offizier kurz.
»Die körperliche Zucht und die Teilnahme an einer Kampfhandlung«, fuhr Jon fort, »auch wenn es sich nur um hypnotische Träume handelte, mußten doch etwas bedeutet haben, denn der Tod, der jeden treffen konnte, war
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