Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
zerlumpter Gestalten entgegen. Eine brüllte: »Dort sind sie! Ihre Kleidung! Seht ihr?«
    Sie wirbelten herum und rannten in eine Quergasse. Hinter ihnen brüllte die Meute jetzt: »Ihre Kleider! Sie müssen reich sein! Wir holen uns ihre Kleider!«
    Im Hafen stand ein Piertor halboffen. »Hier hinein!« rief der König. Die Herzogin folgte ihm. Auf dem Deck half sie ihm, die Laufplanke hochzuheben und so polternd auf den Kai zu werfen. Als sie zum Ruderhaus rannten, stürmten bereits die ersten ihrer Verfolger durch das Tor.
    Petra blieb stehen und beobachtete sie. Einen Augenblick später begann der Motor aufzuheulen. »Komm herauf, Petra! Wir fahren schon!«
    Sie wandte sich von den Gestalten ab, die sich an den Kairand drängten (und sah nicht drei von ihnen zum Boot springen, sah nicht vier Hände vom Deckrand rutschen, hörte nicht die zwei Männer in das schäumende Wasser stürzen, noch bemerkte sie die zwei Hände, denen es gelungen war, sich festzuklammern).
    »Nein, Petra, schau nicht auf die Stadt zurück! Blick vorwärts! Wohin wollen wir fahren? Zu deiner Insel? Zum Festland? Oder den ganzen Weg bis zur Barriere und noch darüber? Wir werden uns umsehen, wo noch niemand war, und neue Inseln entdecken!«
    Sie starrte geradeaus (und sah die kauernde Gestalt nicht, die an Deck geklettert war, nun zögerte und schließlich in der offenen Ladeluke verschwand). »O Let, warum …«
    Die Nacht senkte sich auf das glitzernde, leicht bewegte Wasser herab. »Erinnerst du dich, was ich dir über den Jungen gesagt habe, der, der mir erzählt hat, wie die Sonne aus dem Meer aufsteigt und das Wasser zu glühendem Feuer macht? Seinetwegen segeln wir geradewegs in den neuen Morgen. Wer immer es auch war, wir segeln für ihn.«
    »Es ist Nacht …«, flüsterte sie und dachte: O Let, es ist nicht seinetwegen, es ist nur eine weitere selbstsüchtige Handlung, wie so viele, deren wir uns schuldig gemacht haben und die zum Zusammenbruch führten …
    »Aber bald«, flüsterte er zurück und dachte: Verstehst du denn nicht, Petra, nun gibt es nur noch uns selbst zu retten. Nur noch dieses eine können wir tun, denn alles ist am Zusammenbrechen …
     
    Während die Frau und der Junge an Deck standen, blinzelte Jeof im Laderaum. Er hörte den Motor und stützte sich auf einen Ellbogen. Panikerfüllt dachte er: Sind sie gekommen, um mich fertig zu machen? Seine plumpen Finger umklammerten die Handgranate.
    Jemand kam in dem flackernden Licht, das durch die Luke fiel, heruntergeklettert. Jeof drückte sich gegen die nackte Hülle, die Schrauben preßten in seine Schulter. Als die Gestalt sich umdrehte, fiel einen kurzen Augenblick das Licht voll auf ihr Gesicht.
    »Kino!«
    »Jeof!«
    Der Neandertaler drückte auf den Auslöser. Die Dissis, die am Pier dem Boot nachstarrten, sahen einen plötzlichen, gewaltigen Feuerschein, der die Nacht zum Tag machte und sie momentan blendete.
     

 
9.
     
    Der sanfte Wind flüsterte in den Blättern, als sie den morgengrauen Hang hinunterkletterten.
    »In etwa einer Stunde machen wir eine längere Pause und ruhen uns aus«, sagte Jon.
    »Könnten wir es nicht eine halbe Stunde vorverlegen?«
    »Sicher.« Jon grinste.
    Etwas Helles drehte sich im Flug und landete glitzernd im Laub vor ihnen. »Würden Sie es mir bitte zurückwerfen?« sagte eine Stimme aus den Bäumen.
    Von den schattigen Blättern blickten sie auf die winzige Metallscheibe, die auf den Boden gefallen war. Jon bückte sich danach. Er hob sie hoch. »Hier ist sie!« rief er. »Sie müssen sie sich schon holen.«
    Eine Hand schob einen Zweig zur Seite, ein Mann trat heraus. Sein Alter war nicht leicht zu bestimmen, aber höchstwahrscheinlich war er noch jung. Eine fransige Hose war mit einem Strick um seine Mitte gehalten, er trug kein Hemd. Ein Bein war offenbar steif, eine Schulter leicht höckrig, und der rechte Arm baumelte schlaff aus dem Gelenk. Seine haarige Brust bewegte sich, als er die gute Hand nach der Scheibe ausstreckte.
    Aber Jon zog sie aus seiner Reichweite zurück und betrachtete sie. Es war eine Münze mit einem Relief von mehreren Häusern, die zu einer gemeinsamen Spitze zusammenliefen, und dahinter ein Strahlenkranz. In fetten Buchstaben stand am unteren Rand:
     
    STADT DER TAUSEND SONNEN
     
    Jon hob die Brauen und streckte die Münze dem anderen wieder entgegen. Kräftige Finger mit nicht ganz sauberen Nägeln nahmen sie.
    »So, Sie wollen sich also ausruhen? Was halten Sie von frischem Bettzeug auf

Weitere Kostenlose Bücher