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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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und nahm sich mit der Messingkelle einen Schluck Wasser. Eine Gruppe Halbwüchsiger stürmte lachend aus dem Gebäude. Sie trugen Arbeitsschürzen. Der Lehrer rief einen jungen Waldwächter, der bereits jetzt einen Kopf größer war als er. Der Bursche hob die Motorhaube des Wagens auf und beugte sich über den Motor. Offenbar machte er etwas verkehrt, denn die Klasse lachte. Der Junge blickte auf und lachte ebenfalls. Dann tat er es anscheinend richtig, denn der Motor begann zu brummen. Der Lehrer lobte ihn, die halbe Klasse kletterte in den Wagen, und er rollte davon. Zwei der Halbwüchsigen, ein Junge und ein Mädchen, pfiffen harmonisch eine Melodie.
    »Kommen Sie«, sagte ihr Führer, und sie schritten weiter die Straße aufwärts.
    »Wer – wer leitet diese Stadt?« fragte Jon.
    »Sie werden sie kennenlernen, wenn Sie sich ausgeruht haben.« Sie kamen an einer Grünfläche vorbei, wo Männer und Frauen auf Bänken saßen.
    »Sie sind Neuankömmlinge«, erklärte ihr Führer. »Auch sie werden noch da sein, wenn Sie ausgeschlafen haben.«
    Kinder, die zweifellos nicht neu hier waren, stürmten aus einer Straße herbei und tollten lachend und lärmend auf dem Rasen herum. Ein junger Soldat auf einer Bank hatte eine Handvoll Geldstücke aus seiner Tasche geholt und ordnete sie nun zu einem Quadrat, dem eine Ecke fehlte. Als er eine Münze in die leere Ecke schnellte, verließ eines der Kinder – ein kräftiger Neandertaler – seine Freunde und kam herbei, um ihm zuzusehen. Er gab keinen Laut von sich, er rieb nur hin und wieder die Nase. Der Soldat sah ihn und lächelte. »Willst du es probieren?« fragte er. »Es ist ein Spiel, mit dem wir uns in der Armee die Zeit vertrieben. Zuma nennen wir es. Schau, wenn ich diese Münze in die Ecke dort schieße, dann fliegen zwei Münzen davon, und die beiden Münzen muß man im Vorhinein erraten.«
    Der Junge nickte. »Ich kenne das Spiel.«
    »Willst du zum Spaß ein paar Runden spielen?«
    Der Junge trat an die Bank, ordnete die Münzen zu einem exakten Quadrat, dann holte er etwas aus seiner rückwärtigen Hosentasche. Es war ein geeichter Winkelmesser mit einem geraden metallenen Rand, der sich um seinen Mittelpunkt drehte. Er stellte das Instrument entlang der Diagonale des Quadrats und las den Winkel ab. Dann maß er den Abstand, legte die freie Münze dorthin und kauerte sich nieder, um sie zu schießen, »drei und fünf«, sagte er. Er schnellte die Münze, und drei und fünf flogen vom entgegengesetzten Rand. Er ordnete das Quadrat, nahm erneut seine Messung vor, sagte, »zwei und fünf«, und es stimmte wieder.
    Der Soldat lachte und kratzte sich am Kopf. »Was machst du mit dem Ding da?« fragte er, als der Junge erneut den Winkel las. »Du bist der erste Affe, den ich so gut habe spielen sehen – fast wie ein Waldwächter.«
    »Ich berechnete lediglich den Schleuderwinkel an der Aufschlagslinie.«
    »Was tust du?«
    »Die geworfene Münze«, erklärte der kleine Neandertaler, »hat eine Drehung von, sagen wir, Omega, die in den meisten Fällen unbedeutend ist, also braucht man sich nicht groß um den Drall kümmern. Das gleiche gilt für die Beschleunigung, so lange sie ausreicht, zumindest zwei Münzen wegzustoßen, und nicht zu stark ist, daß sie das ganze Quadrat durcheinanderbringt. Nennen wir es Konstante K. Das einzige, das wirklich zählt, ist der Schleuderwinkel, Theta, von der Diagonale der Matrix der Aufschlagslinie. Wenn man das genau feststellt, ist der Rest eine einfache Vektoraddition der Kraft durch alle Möglichkeiten von fünfzehn …«
    »Puh!« stöhnte der Soldat.
    »Es dürfte gar nicht Zuma heißen«, endete der Junge. »Denn wenn man alle Faktoren genau bestimmt, bleibt dem Zufall ja gar nichts übrig.«
    »Das ist zu hoch für mich«, brummte der Soldat und lachte.
    »Nein«, versicherte ihm der Junge. »Sie müssen nur so denken, wie man es Ihnen in der Schule beibringt. Werden Sie auch hier in die Schule gehen?«
    Jon, Alter und ihr Führer waren stehengeblieben, um den beiden zuzuhören. Jetzt trat Jon auf den Rasen und tupfte dem Jungen auf die Schulter. Der Soldat blickte hoch, der Junge drehte sich um. Verwunderung spiegelte sich auf ihren Gesichtern. »Wer hat dir das gesagt?« fragte Jon. »Wer hat dir gezeigt, wie man das macht?« Jon brauchte einen Augenblick, bis er erkannte, daß die Verwunderung nicht seiner Frage galt, sondern seinem unrasierten, wilden Aussehen. »Wer hat dich das gelehrt?«
    »Die Frau«, antwortete

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