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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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auf das ungemachte Bett. Ich sollte es machen oder abziehen, dachte sie. Es jeden Tag so zu sehen, erinnerte sie nur an den letzten Abend ihres Vaters und damit auch an seinen Tod.
    Der letzte Abend seines Lebens.
    Das ungemachte Bett!
    Sie legte eine Hand vor den Mund. Ihr Dad war im Pyjama gewesen und hatte seine Schlafmittel genommen. Offenbar war er entweder schon eingeschlafen gewesen oder gerade zu Bett gegangen. Warum zog er seinen Pyjama an, wenn er vorhatte, sich umzubringen? Warum ging er vorher noch zu Bett? Nur um dann wieder aufzustehen und in seinen Hausschuhen zur Garage zu gehen und Selbstmord zu begehen?
    Das ergibt alles keinen Sinn, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass Dad laut Freunden und Nachbarn in einem merkwürdigen Zustand war.
    Sie schloss die Augen und stellte sich ein anderes Szenario vor. Ihr Vater lag im Bett, der Schlaf durch Medikamente unterstützt. Jemand war an der Tür, läutete oder pochte.
    Der Gerichtsmediziner hatte nur Spuren von Halcion in seinem Blut entdeckt. Sie hatte das Mittel schon mal genommen, um auf Interkontinentalflügen schlafen zu können. Daher wusste sie, dass der Schlaf leicht war. Das Medikament entspannte lediglich und half einzuschlafen.
    Ihr Dad war als Arzt ein Leben lang auf Abruf gewesen. Ein Pochen an der Tür hätte ihn geweckt, auch wenn er dieses Schlafmittel genommen hatte.
    Er war aufgestanden, hatte seine Hausschuhe angezogen und war hinunter zur Tür gegangen. Oder zur Seitentür. Dort hatte ihn ein Feind in Gestalt eines Freundes erwartet. Jemand, den er kannte und dem er vertraute.
    Also hatte er die Tür geöffnet.
    Avery merkte, dass sie zitterte. Ihr Herz hämmerte. Obwohl es sie schmerzte, spann sie den Tathergang weiter und fügte die Stücke des Puzzles zusammen.
    Er war noch benommen und deshalb leicht zu überwältigen. Besonders von einer vertrauten Person.
    Wie haben die das gemacht? fragte sie sich. Weder Polizei noch Rechtsmedizin hatten Anzeichen von Gewalt festgestellt. Keine Blutergüsse, keine Brüche. Keine erkennbaren Zeichen eines Kampfes, weder am Tatort noch am Körper.
    Sie erinnerte sich, was sie über Tod durch Feuer wusste. Das Fleisch verging in der Hitze, aber der Körper verbrannte nicht ganz. Eine Autopsie konnte durchgeführt werden. Ein Schlag auf den Kopf mit genügend Kraft, sodass jemand bewusstlos wurde, konnte von einem Pathologen nachgewiesen werden.
    Könnte der Angreifer ihn überwältigt, gefesselt und zur Garage getragen haben? Nein, diese Möglichkeit musste sie ausschließen. Laut Ben Mitchell war ihr Dad einige Schritte zur Tür gekrochen. Gefesselt wäre das unmöglich gewesen.
    Wie also überwältigte man jemanden, ohne Spuren an seinem Körper oder in seinem Blutkreislauf zu hinterlassen?
    Plötzlich fiel es ihr ein. Eine Freundin in Washington hatte immer ein Elektroschockgerät bei sich getragen anstelle von Pfefferspray. Sie hatte ihr erzählt, dass der Stromstoß einen Angreifer bis zu fünfzehn Minuten bewegungslos machen konnte, ohne Dauerschäden oder Spuren am Körper zu hinterlassen. Ihr Vater wäre lange genug außer Gefecht gewesen, sodass ein Mörder ihn in die Garage tragen, mit Diesel übergießen und anzünden konnte.
    Sein Hausschuh war auf dem Weg zwischen Haus und Garage abgefallen.
    Deshalb war er nicht stehen geblieben, um ihn wieder anzuziehen. Er war nicht selbst gegangen. Man hatte ihn getragen. Sie stellte sich vor, wie der Mörder ihn in der Garage ablud. Der Diesel stand bereit. Diesel zündete langsam bei direktem Kontakt mit der Flamme. Der Mörder hatte ein Streichholz oder einen Anzünder geworfen und war gegangen.
    Und ihr Vater verbrannte bei lebendigem Leibe. Als er endlich reagieren konnte, war es zu spät gewesen.
    „Was ist los?“
    Sie drehte sich um. Hunter stand hinter ihr. „Ich weiß, wie das mit Dad passiert ist. Ich weiß, wie die ihn umgebracht haben.“

43. KAPITEL
    Hunter erwachte und merkte, dass er allein im Bett lag. Er sah auf Averys Wecker. Es war kurz nach 17 Uhr. Sie hatten fast den ganzen Nachmittag verschlafen. Er zumindest.
    Er setzte sich auf. Im Kissen neben ihm war noch der Abdruck von Averys Kopf. Er legte die Hand hinein – das Kissen war kalt – und blickte zum Fenster. Das Licht hatte sich verändert. Die mittägliche Helle war dem Violett des frühen Abends gewichen.
    Hunter rieb sich das stoppelige Kinn und dachte an Avery.
    Sie hatte ihm ihre Theorie eröffnet, wonach ihr Vater von einem vertrauten Freund nachts geweckt

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