Stadt des Schweigens
Mittwochabend vorgeschlagen und die Beisetzung für Donnerstagmorgen, damit die Gazette rechtzeitig eine Anzeige bringen konnte. Er war sicher gewesen, dass die halbe Stadt ihrem Vater das letzte Geleit geben wollte und somit frühzeitig informiert werden musste.
Lilah hatte darauf bestanden, nach der Beisetzung in ihrem Haus für das Wohl der Trauergäste zu sorgen, was Avery dankend angenommen hatte.
Zwei Tage noch.
Die Hände um den warmen Becher geschlungen, fragte sie sich, ob die Beerdigung es ihr erleichtern würde, Abschied zu nehmen. Könnte sie mit der Zeremonie einen Schlussstrich ziehen oder bliebe diese entsetzliche Leere im Herzen?
Die Kellnerin brachte die Pfannkuchen und füllte ihren Kaffeebecher wieder auf. Avery dankte, führte das erste Pfannkuchenstück in den Mund und gab einen verzückten Laut von sich. In schon peinlicher Geschwindigkeit vertilgte sie den halben Stapel und legte schließlich zufrieden seufzend die Gabel beiseite.
„Sind sie so gut, wie du sie in Erinnerung hattest?“ rief Peg, die hinter dem Tresen stand.
„Besser“, erwiderte sie und schob den Teller zurück. „Aber wenn ich noch mehr esse, platze ich.“
Peg schüttelte den Kopf. „Kein Wunder, dass du so dürr bist. Ich schicke Marcie mit der Rechnung.“
Avery dankte ihr freundlich und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Stadtplatz zu. Sie wollte den Blick soeben abwenden, als sie auf der anderen Straßenseite, halb durch eine Eiche verborgen, Hunter und seine Mutter entdeckte, tief in eine Unterhaltung versunken.
Nein, das war keine Unterhaltung, sondern ein Streit. Lilah hob eine Hand und wollte ihren Sohn offenbar schlagen, doch der wehrte sie ab. Er war wütend. Avery spürte geradezu seinen Zorn und Lilahs Verzweiflung.
Obwohl sie sich wie ein Voyeur vorkam, konnte sie den Blick nicht von den beiden losreißen. Der Wortwechsel ging weiter. Als Hunter sich zum Gehen wandte, packte Lilah ihn am Arm, doch er schüttelte die Hand angewidert ab.
Lilah flehte, wie Avery schockiert erkannte. Um was bettelte sie? Um die Liebe ihres Sohnes, um seine Aufmerksamkeit? Im nächsten Moment war Hunter verschwunden.
Lilah sah ihm nach und schien in sich zusammenzusacken. Sie ließ sich gegen den Baumstamm sinken und legte den Kopf in die Hände.
Besorgt eilte Avery aus ihrer Nische und schwang sich den Handtaschenriemen über die Schulter. „Peg!“ rief sie auf dem Weg zur Tür. „Ich zahle später.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, hastete sie hinaus und über die Straße.
Sobald sie Lilah erreicht hatte, sagte sie leise ihren Namen. „Alles in Ordnung?“ „Geh, Avery, bitte!“
„Das kann ich nicht, wenn du so aufgeregt bist.“
„Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das.“
Sie ließ die Hände sinken und sah Avery an. Das Make-up von Tränen verschmiert, wirkte sie um Jahre älter als die vornehme Gastgeberin von neulich abends.
Avery reichte ihr die Hand. „Ich möchte dir wenigstens zu deinem Wagen helfen oder dich heimfahren.“
„Ich verdiene deine Freundlichkeit nicht. Ich habe so viele Fehler in meinem Leben gemacht. Mit meinen Kindern, meinem …“ Sie rang die Hände. „Gott vergebe mir, es ist alles meine Schuld.“
„Hat Hunter dir das gesagt?“ „Ich muss gehen.“
„Hat Hunter dir das gesagt? Ich habe euch streiten sehen.“
„Lass mich gehen.“ Sie kramte in ihrer Handtasche nach den Autoschlüsseln. Die Hände zitterten ihr so, dass die Schlüssel zu Boden fielen.
Avery beugte sich herab und hob sie auf. „Ich weiß nicht, was er dir vorgeworfen hat, aber es stimmt nicht. Hunters Probleme sind nicht deine Schuld. Er ist für die Fehler seines Lebens selbst verantwortlich.“
Lilah schüttelte den Kopf. „Du weißt nicht … Ich war eine schreckliche Mutter. Ich habe alles falsch gemacht, alles!“
Verzweifelt versuchte Lilah, sich an ihr vorbeizudrängen. Doch Avery hielt sie an den Schultern fest und zwang Lilah, sie anzusehen. „Das stimmt nicht. Denk an Matt und an Cherry. Sieh dir an, wie gut es ihnen geht und wie zufrieden sie sind.“
Lilah wurde still und sah Avery an. „Ich fühle mich nicht gut. Könntest du mich heimfahren?“
Avery führte sie zu ihrem Wagen, half Lilah beim Einsteigen und fuhr los.
Die Fahrt zur Ranch hinaus verlief schweigend. Avery spürte, dass Lilah weder den Wunsch noch die Kraft hatte, ein Gespräch zu führen. Sie parkte die Limousine in der Zufahrt, half Lilah beim Aussteigen und brachte sie zum Haus.
Als sie die
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