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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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dem anonymen Anruf erzählte? Würde er das für einen abartigen Scherz oder für eine ernste Drohung halten?
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nichts.“
    „Sind Sie sicher?“
    „Absolut.“ Sie stand auf und reichte ihm die Hand. „Sie haben mir sehr geholfen, Dr. Harris. Danke für Ihre Zeit.“
    Er stand ebenfalls auf und nahm ihre Hand. „Falls Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich an. Ich bin meistens hier.“
    Avery ging zur Tür. Als er ihren Namen sagte, blieb sie stehen und sah ihn an.
    „Ich hoffe, Sie verzeihen einem alten Mann, dass er sich einmischt, aber ich mache diesen Job schon viele Jahre. Ich habe mit vielen trauernden Familienangehörigen gesprochen. Ich verstehe, wie schwierig es zu akzeptieren ist, dass ein geliebter Mensch sich das Leben genommen hat. Man empfindet Schuld. Man denkt, man hätte es merken und verhindern können. Ich sage Ihnen, am besten kommen diejenigen damit klar, die ihr Leben weiterleben. Die sich klar machen, dass es bei der Tat nicht um sie oder um ihr Versäumnis ging.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Die Zeit hilft, Miss Chauvin. Lassen Sie sich Zeit. Reden Sie mit jemandem, einem Therapeuten, einem Pastor, und dann leben Sie Ihr Leben weiter.“
    Wenn das nur so leicht wäre und mir alles nicht so falsch vorkäme.
    Sie zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Sie sind sehr freundlich, Dr. Harris.“
    „Nur damit Sie es wissen, Ihrer Schwester habe ich dasselbe gesagt.“ „Wie bitte?“
    „Ihrer Schwester. Sie rief gleich nach Ihnen an. Sie kommt um drei.“
    Stirnrunzelnd verfolgte er ihr Mienenspiel. „Ist etwas nicht in Ordnung, Miss Chauvin?“
    „Ich habe keine Schwester, Dr. Harris.“

18. KAPITEL
    Avery wartete auf dem Parkplatz neben Dr. Harris’ Büro. Das Fenster ihres Geländewagens hatte sie geöffnet, um die milde Märzluft hereinzulassen. Sie hatte ihren Blazer am Rande des Platzes abgestellt, neben einem vergammelten alten Cadillac Seville.
    Fünf vor drei fuhr ein weiterer Wagen auf den Parkplatz, mit einer Frau am Steuer. Avery ließ sich auf dem Sitz nach unten gleiten, um nicht gesehen zu werden – noch nicht. Sie wollte eine Begegnung vermeiden, bis es sich nicht mehr umgehen ließ.
    Die Frau parkte ihren Camry, ohne in ihre Richtung zu blicken. Sie prüfte ihr Aussehen im beleuchteten Spiegel der heruntergeklappten Sonnenblende, klappte sie wieder hoch und stieg aus.
    Erst da konnte Avery sie deutlich erkennen und war verblüfft. Die Frau von Dads Totenwache. Die, zu der die Männer gestarrt hatten.
    Avery riss die Tür auf, sprang aus dem Wagen und schlug sie wieder zu. Die Frau blieb stehen, drehte sich um, sichtlich schockiert, dann betreten.
    Avery war mit wenigen Schritten bei ihr. „Wir müssen reden!“
    „Pardon?“
    „Tun Sie nicht so. Sie waren bei der Totenwache meines Vaters. Jetzt sind Sie hier und geben sich als meine Schwester aus. Ich denke, Sie sollten mir erklären, warum.“
    Es schien, als wolle sie die Vorhaltungen bestreiten, doch sie blieb schweigsam. Stattdessen deutete sie auf einen Picknicktisch unter einer alten Eiche hinter dem Gebäude. „Dort drüben.“
    Sie setzten sich. Avery sah die Frau an. Groß, schlank, mit kurzen blonden Locken, schien sie etwa in ihrem Alter zu sein.
    „Ich heiße Gwen Lancaster. Tut mir Leid, wenn ich Sie aufgeregt habe. Ich weiß, es ist eine schwierige Zeit für Sie. Ich kann es nachfühlen, denn ich habe vor kurzem meinen Bruder verloren.”
    Avery betrachtete sie unverwandt. „Kannten Sie meinen Vater?“
    „Nein.“
    „Darf ich dann fragen, warum Sie bei seiner Totenwache waren und heute hier sind?“
    Gwen zögerte einen Moment, ehe sie antwortete. „Ich bin neu in Cypress Springs. Nette Stadt.“
    „Ja, ist es. Und freundlich.“
    Sie verzog leicht die Miene. „Aus meiner Warte sieht sie nicht besonders freundlich aus.“ „Ist das meine Schuld?“
    Sie lachte angespannt. „Nein, natürlich nicht.“ Kurz wandte sie den Blick ab. „Ich bin nach Cypress Springs gekommen, um Nachforschungen anzustellen. Ich arbeite an meiner Doktorarbeit in Sozialpsychologie an der Tulane University.“
    „Schön für Sie. Und was hat das mit dem Tod meines Vaters zu tun?“
    „Wenn ich es Ihnen sage, versprechen Sie mir, nicht abzublocken?“
    Avery beugte sich zu ihr vor. „Ich verspreche Ihnen gar nichts, weil ich das nicht muss.“
    Gwen sah sie einen Moment an und nickte. „Gestatten Sie mir wenigstens, etwas

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