Stadt des Schweigens
Aufstöhnen, erhob sich ebenfalls, um Avery zu folgen, und stieß fast mit Peg zusammen. Die wich zurück, und der Kaffee, den sie trug, schwappte über den Tassenrand. Mit einem kleinen Aufschrei ließ sie die Tasse fallen, die auf dem Boden zerbrach.
Gwen entschuldigte sich, blieb aber nicht stehen. Sie folgte Avery und war nur einen Moment nach ihr auf der Straße.
„Warten Sie!“ rief sie ihr nach. „Ich habe Ihnen nicht alles erzählt.“
Avery blieb stehen, drehte sich langsam um und sah Gwen resigniert an. „Begreifen Sie es endlich! Ich will nichts mehr von Ihnen hören. Ich liebe diese Stadt mit ihren Menschen.“
„Auch wenn die Ihren Vater umgebracht haben? Würden Sie sie dann auch noch lieben?“
Avery war einen Moment wie erstarrt und schüttelte resigniert den Kopf. „Ich sehe, wie verzweifelt Sie sein müssen, dass Sie so tief sinken, etwas derart Grausames zu unterstellen. Sie tun mir Leid, Gwen Lancaster.“
„Meine Frage war mehr als berechtigt“, fuhr Gwen fort und wusste, wie begrenzt ihre Zeit war, da Avery jeden Moment loslaufen konnte, „denn sie haben meinen Bruder umgebracht.“
„Netter Versuch, aber …“
„Es war dasselbe Verfahren wie bei Luke McDougal. Sein leerer Wagen wurde gefunden. Kein Hinweis auf Gewaltanwendung, er war einfach … weg.“
Gwen fiel auf, wie laut sie gesprochen hatte und wie viele Leute ringsum aufmerkten. Sie wurden beobachtet und belauscht, und deshalb ging sie näher zu Avery.
„Tom Lancaster“, fügte sie leiser hinzu. „Die Gazette brachte eine Notiz über sein Verschwinden. Etwa so groß wie die über McDougal. Mittwoch, 6. Februar. Ich habe eine Kopie, aber Sie würden vermutlich denken, ich hätte sie manipuliert.“
Gwen blickte zum Cafe und sah, dass Peg sie durch die Frontscheibe beobachtete. Sie ließ den Blick schweifen. Ein Streifenpolizist schien ihnen mehr Beachtung zu schenken als dem Autofahrer, dem er ein Strafmandat schrieb. Sie blickte zum Stadtplatz. Der alte Mann auf der Bank beobachtete sie ungeniert über den Rand seiner Zeitung hinweg.
Sie senkte die Stimme noch mehr. „Ich habe durch Tom von der Gruppe Die Sieben erfahren. Die Informationen stammen also von ihm. Er war hier, um Nachforschungen über sie anzustellen. Dabei ist er ihnen wohl zu nahe gekommen.“
„Ich glaube, Sie sind krank“, erwiderte Avery mit bebender Stimme. „Sie brauchen Hilfe.“
„Überprüfen Sie es. Und suchen Sie mich auf, wenn Sie überzeugt sind.“
26. KAPITEL
Im Morgengrauen am nächsten Tag lag Avery immer noch wach da und starrte an die Decke. Sie war müde und hatte Kopfschmerzen vor Schlafmangel. Doch Gwen Lancasters Frage, ob sie diese Stadt und ihre Menschen noch lieben würde, wenn die ihren Vater umgebracht hätten, hatte sie nicht zur Ruhe kommen lassen.
Avery wälzte sich auf die Seite und rollte sich wie ein Fötus zusammen. Sie wünschte, Gwen nicht gesprochen zu haben. Dann hätte sie sich den inneren Frieden bewahren können, den sie nach dem Gespräch mit Buddy empfunden hatte. Warum sollte sie weder Matt noch Buddy trauen noch den verschiedenen Behörden, die den Tod ihres Vaters untersucht und als Selbstmord eingestuft hatten?
Meine Frage war mehr als berechtigt, weil die meinen Bruder umgebracht haben.
„Verdammt!“ Sie setzte sich und ballte die Hände zu Fäusten. Verzweifelte Menschen griffen zu verzweifelten Maßnahmen.
Gwen Lancaster war offenbar verzweifelt, aber warum sollte sie ihr glauben? Weshalb schrieb sie Gwen nicht einfach als durchgedreht ab?
Weil ihre Verzweiflung echt wirkte. Weil sie glaubte, was sie sagte, und weil sie Angst hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Angst gespielt war.
Avery warf sich auf den Rücken und blickte wieder zur Decke. Vielleicht hatte diese Gwen eine psychische Störung. Schizophrene glaubten an die Stimmen, die sie hörten, und ihre Visionen waren für sie völlig real. Paranoide Schizophrene glaubten sogar, man verschwöre sich gegen sie. Dabei lebten viele von ihnen über Jahre, ohne aufzufallen.
Eine psychische Störung bei Gwen erklärte jedoch weder die anonyme Anruferin noch Luke McDougals Verschwinden oder Elaine St. Claires Ermordung.
Und sie dämpfte nicht ihre Zweifel am Selbstmord ihres Vaters.
Avery schlug die Decke zurück, stieg aus dem Bett und ging zum Fenster. Sie lugte an der Gardine vorbei und sah, dass Cypress Springs noch nicht erwacht war. Nicht ein einziges Licht brannte.
Scheinwerfer erhellten die Straße, ihr
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