Stadt des Schweigens
Verzweiflung über das Verschwinden des Bruders das Leben.
Wer würde daran zweifeln? Ihre Mutter sicher nicht, die selbst so tief in die Depression gerutscht war, dass sie morgens kaum aus dem Bett kam. Und auch nicht der Psychiater, den sie aufgesucht hatte, der ihr Antidepressiva verschrieben und ihr eine Strafpredigt gehalten hatte, weil sie die Tabletten nicht nahm.
Werde nicht paranoid, sei nur vorsichtig.
Sie brauchte eine Verbündete, einen Menschen, dem sie trauen konnte. Jemand, der hierher gehörte, in diese Gemeinde, dem die Menschen trauten. Und der sich umhören konnte, ohne Verdacht zu erregen, der geübt war im Sammeln von Fakten und selbst einen triftigen Grund hatte, der Sache auf den Grund zu gehen, der ein Interesse an diesem Fall hatte.
Und da gab es nur eine – Avery Chauvin.
25. KAPITEL
Gwen duschte rasch, trocknete ihre Locken mit dem Handtuch, zog sich an und ging. Sie wusste, dass Avery morgens joggte und anschließend ihr Frühstück im Azalea Cafe zu sich nahm.
Es war schon ein wenig spät, aber wenn sie Glück hatte, erwischte sie Avery noch beim Verlassen des Cafes.
Sie hatte mehr als Glück und entdeckte Avery durch das Fenster. Offenbar hatte sie gerade erst ihre Pfannkuchen erhalten und war in eine angeregte Unterhaltung mit Peg, der Besitzerin, vertieft.
Gwen betrat das Lokal. Beim Klingeln der Türglocke blickten beide Frauen in ihre Richtung, und Averys Miene wurde ernst.
Freundlich lächelnd ging Gwen auf ihre Nische zu. „Morgen, Avery.“
„Morgen.“ Sie widmete ihre Aufmerksamkeit unverhohlen abweisend wieder Peg.
Merkwürdig. Wir haben uns nach der letzten Unterhaltung wenn nicht in Freundschaft, so doch in gegenseitigem Respekt getrennt. Avery hat angefangen, an Die Sieben zu glauben. Was hat sich seither verändert?
„Setzen Sie sich irgendwohin“, forderte Peg sie auf. „Ich komme gleich zu Ihnen.“
Gwen nickte zögerlich und wählte den Tisch am Gang, Avery gegenüber. Als Peg die Unterhaltung beendete, drehte sie sich zu Gwen um und nahm ihre Bestellung auf.
Gwen bat um Kaffee und ein englisches Muffin und sah Peg nach, die zum Tresen ging. Von dort blickte sie skeptisch zurück. Als sie jedoch merkte, dass Gwen sie ansah, lächelte sie freundlich und verschwand in der Küche.
Sobald Peg durch die Schwingtüren gegangen war, sprach Gwen Avery an. „Ich hatte gehofft, Sie hier zu finden.“
Ohne Gwen eines Blickes zu würdigen, nahm Avery ihre Pfannkuchen in Angriff.
„Ich muss dringend mit Ihnen reden. Es ist wichtig.“
Avery sah sie kurz an. „Aber ich möchte nicht mit Ihnen reden. Bitte lassen Sie mich in Frieden.“
„Konnten Sie inzwischen die Fakten überprüfen, die ich Ihnen genannt habe?“
„Sie haben mir keine Fakten genannt, sondern gegenstandslose Anschuldigungen und Halbwahrheiten.“ „Wenn Sie überprüfen würden …“ „Ich möchte darüber nicht diskutieren.“
„Wurden Sie von denen angesprochen? Ist es das? Wurden Sie bedro…“
Avery schnitt ihr das Wort ab. „Ich weiß nicht, ob Sie nur verblendet oder bösartig sind, aber ich habe genug von Ihnen.“
„Ich bin keins von beidem, das kann ich Ihnen versichern. Als Journalistin …“
„Ich bin eine gute Journalistin, deshalb belege ich jede Annahme durch Fakten. Ich verdrehe keine Tatsachen, um Sensationen zu schaffen, und ich beuge sie auch nicht meinen Vorurteilen.“
„Wenn Sie mir doch nur zuhören würden.“
„Ich habe mir bereits zu viel von Ihnen angehört.“ Avery beugte sich herüber. „Was Sie mir über Die Sieben erzählt haben, ist Quatsch. Ja, es hat Die Sieben gegeben, aber nicht als die Gruppe, die Sie beschrieben haben. Es war eine Gruppierung rechtschaffener Bürger, die das Gemeinwohl im Sinn hatten. Es war kein geheimes Tribunal, das seine Mitbürger bespitzelte und Urteile über sie fällte. Sie nannten sich ,Sieben Bürger in Sorge’. Sie starteten eine Aufklärungskampagne an Schulen über Drogen- und Alkoholmissbrauch, und sie versuchten, Familien wieder zum Kirchgang zu bewegen. Mein Pastor war ein Mitglied, ebenso Lilah Stevens. Ich schätze, Sie sollten Ihre Fakten überprüfen, Miss Lancaster!“
„Das ist nicht wahr! Wer hat Ihnen das erzählt? Wer …“
„Das spielt keine Rolle.“ Avery warf ihre Serviette auf den Tisch und schlüpfte aus der Nische. Die Pfannkuchen waren kaum angerührt. „Setz es auf meine Rechnung, Peg!“ rief sie. „Ich brauche frische Luft.“
Gwen unterdrückte ein resigniertes
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