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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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Lichtkegel wurde im Halbdunkel von Bäumen und Morgendunst zurückgeworfen. Eine Polizeilimousine. Der Wagen verlangsamte das Tempo, als er zu ihrem Grundstück kam, und fuhr im Schneckentempo daran vorbei. Instinktiv wich sie vom Fenster zurück, um nicht entdeckt zu werden.
    Zu albern. Da sie kein Licht gemacht hatte, würde man sie nicht sehen. Außerdem war diese Patrouille zweifellos Buddys Werk.
    Er spielte wieder den Daddy und passte auf sie auf.
    Erschöpft rieb sie sich das Gesicht. War es nicht kindisch, wegen dieser einen Bemerkung von Gwen eine Nacht nicht zu schlafen? Sie sollte den Menschen, die sie kannte, einfach vertrauen. Doch merkwürdigerweise ging das nicht. Als Reporterin war sie es gewöhnt, Fakten zu überprüfen. Wenn sie wieder inneren Frieden finden wollte, musste sie Gwen Lancaster widerlegen.
    Avery wandte sich vom Fenster ab und ging nachdenklich auf und ab. Was also sollte sie tun? Eine Arbeitshypothese aufstellen und sie nach allen Seiten abklopfen. Wie damals, als sie die Fehler im Pflegeelternsystem aufgedeckt hatte.
    Sie blieb stehen. Aber wie lautete hier ihre Hypothese? Eine Gruppe von Kleinstadtbürgern, besorgt über den moralischen Verfall der Gemeinde, nimmt das Recht in die eigenen Hände. Die Aktionen beginnen harmlos, entwickeln sich aber unkontrolliert ins Extremistische. Derjenige, dessen Verhalten vom akzeptierten Standard abweicht, wird ausgegrenzt. Im Namen von Recht und Gesetz verletzt man die Rechte der Mitmenschen. Ehe alles vorbei ist, sind die vermeintlich Gerechten schlimmer als die Gesetzesbrecher, die Richter schlimmer als die Gerichteten.
    In diese Prämisse verbiss sie sich mit Vergnügen. Wenn an der Story etwas dran war, würde sie hoffentlich einigen die Augen öffnen. Sie mochte dieses Land vor allem wegen des Prinzips der individuellen Freiheit. Das durfte nicht aufgegeben werden, auch wenn sie den Verlust an Sicherheit, den andauernden Werteverfall und die Unfähigkeit der Justiz, der zunehmenden Kriminalität angemessen zu begegnen, bedauerte.
    Aber das hier war keine anonyme Story, und sie war keine unbeteiligte Journalistin. Hier ging es um ihre Heimatstadt. Die Menschen, die es betraf, waren Freunde und Nachbarn, Leute, die sie zur Familie zählten. Und einer der Toten war ihr Vater.
    Sie steckte bis zum Stehkragen emotional in dieser Sache drin.
    Arbeitshypothese mit Fakten belegen, dachte sie entschlossen. Ihre Emotionen würden ihre Objektivität nicht beeinträchtigen. Sie würde wachsam bleiben und sich nicht durch persönliche Bindungen blenden lassen.
    Und sie würde die Wahrheit herausfinden – wie immer.

27. KAPITEL
    Averys erster Besuch am Morgen galt der Cypress Springs Gazette, deren Büro in einem renovierten Ladenlokal anderthalb Blocks vom Stadtplatz entfernt lag. 1963 gegründet, nur Monate vor der Ermordung von Präsident Kennedy, hing immer noch ein Bild des ehemaligen Präsidenten im vorderen Wartebereich.
    Als Avery eintrat, verriet das Läuten der Türglocke ihre Anwesenheit. Der Empfangstresen war leer.
    Ein großer blonder Mann erschien in der Tür zum Nachrichtenraum. Die Augen hinter seiner Harry-Potter-Brille weiteten sich. „Avery Chauvin? Ich hatte mich schon gefragt, ob du mal auf einen Sprung vorbeischaust.“
    „Rickey? Rickey Plaquamine? Wie schön, dich zu sehen.“
    Er kam um den Tresen herum, und sie umarmten sich. Sie waren in derselben Klasse gewesen und immer zusammen zur Schule gegangen. Gemeinsam hatten sie an der Schülerzeitung gearbeitet, hatten sich schließlich für Journalismus entschieden und die Louisiana State University besucht. Nach dem Abschluss hatte er es jedoch vorgezogen, nach Cypress Springs zurückzukehren, um für die lokale Zeitung zu berichten.
    „Du hast dich überhaupt nicht verändert“, sagte sie.
    Er tätschelte sich den Bauch. „Wenn man die dreißig Pfund ignoriert, die ich seither angesetzt habe. Zehn bei jeder Schwangerschaft von Jeanette.“
    „Drei Kinder? Das Letzte, was ich hörte …“
    „Unser Drittes ist gerade geboren. Wieder ein Junge.“
    „Drei Söhne“, erwiderte sie lachend. „Da hat Jeanette aber alle Hände voll zu tun.“
    „Kannst du laut sagen.“ Seine Miene wurde ernst. „Das mit deinem Dad tut mir entsetzlich Leid. Entschuldige, dass wir es nicht zur Andacht geschafft haben. Der Kleinste hatte eine Kolik, und der ganze Haushalt stand Kopf.“
    „Ist schon okay.“ Sie blickte an ihm vorbei zum Nachrichtenraum. „Wo ist Sal?“
    Erstaunt sah er

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