Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Greanias
Vom Netzwerk:
wartete. Nichts geschah. Was auch immer Conrad ausgelöst hatte, es konnte offenbar nicht rückgängig gemacht werden. Von wegen Jungfräulichkeit. Sie war eindeutig genauso wenig ›ehrwürdig‹ wie er.
    Sie nahm den Obelisken wieder vom Altar und spürte gleich darauf, wie die Wand hinter ihr erzitterte. Sie drehte sich um und sah, wie sich die vier Türen der Kammer nacheinander öffneten.
    Eine ganze Zeit lang stand sie wie angewurzelt da und wusste nicht, was sie tun sollte. Dann betrachtete sie den Obelisken in ihrer Hand. Irgendetwas war anders. Die Seite mit den vier Sonnen hatte sich verändert. Jetzt waren da sechs Sonnen, wobei die sechste die größte war. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet: Ein neues Zeitalter war angebrochen, was nur bedeuten konnte, dass das alte unweigerlich zu Ende ging.
    Gleich geblieben war die Inschrift, die besagte, dass das Zepter des Osiris zum Heiligtum der Ursonne gehörte. Daneben war jetzt eine Konstruktion wie die P4 zu erkennen, ein Denkmal seiner Zeitepoche. Wenn die P4 die Pyramide der Vierten Sonne war, dann musste das Heiligtum der Ursonne während der Ersten Zeit, der Schöpfung, der Urzeit gebaut worden sein. Sollte Conrad Recht haben, konnte die biblische Genesis nichts anderes als die entsprechende ›ehrwürdige‹ Zeit sein.
    Serena kam zu dem Schluss, dass sie dieses Heiligtum der Ursonne finden und dessen Geheimnis lüften musste. Erst dann konnte sie die Sternenkammer auf die ›ehrwürdige‹ Zeit einstellen, um dadurch das, was auch immer gerade geschah, anzuhalten.
    Aber wo befand sich dieses Heiligtum, und wie würde sie es überhaupt erkennen? Conrad würde das können. Sie ging zu dem Lichtrechteck unter dem Südschacht und verfolgte mit den Augen Conrads Seil, das den Schacht hochlief. Am anderen Ende flimmerte Tageslicht. Warum blieb er so lange weg?
    Serena wandte sich vom Schacht ab und blickte durch die leere Kammer. Yeats' Rucksack lag immer noch da. Sie hatte ihn schon einmal durchwühlt, aber erst jetzt merkte sie, dass an dem Futter an der Rückenseite etwas nicht stimmte. Bei näherer Untersuchung stellte sie fest, dass dort ein flacher Gegenstand eingenäht war.
    Sie zog ein Militärmesser aus Yeats' Rucksack und schlitzte das Futter auf. Ein gefaltetes Papier mit einer Zeichnung darauf kam zum Vorschein. Es sah wie der Konstruktionsentwurf einer Art Säule aus. Mit einem Schlag erkannte sie dann die ›Säule‹. Es war eine originalgetreue Abbildung des Obelisken, den sie in der Hand hielt.
    Wie sie schon vermutet hatte, wussten die Amerikaner also mehr über diesen Ort, als Yeats zuzugeben bereit gewesen war. Yeats hatte die Zeichnung eindeutig schon gehabt, bevor sie die P4 betreten und den Obelisken gefunden hatten. Noch bevor Yeats das Zepter des Osiris mit eigenen Augen gesehen hatte, musste er gewusst haben, dass es sich hier unten befand.
    Natürlich war die verrückte Geschichte, wie er Conrad angeblich im Eis gefunden hatte, nicht wahr, sagte sie sich. Die hatte nur dazu gedient, in einer Krisensituation mit Conrads Gefühlen zu spielen. Nicht anders hatte das auch Conrad gesehen.
    Aber da war etwas gewesen, bevor Conrad aus seiner Bewusstlosigkeit aufgewacht war. Er hatte etwas gemurmelt, und das wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Es hatte wie ein schmerzvolles Stöhnen geklungen. Aber in der Wortstruktur und in der Aussprache war es ihr eigenartig bekannt vorgekommen. Jetzt, wo sie wieder daran dachte, wurde ihr bewusst, dass Conrad ständig das Wort ›Mama‹ in einer Vorstufe der Aimara-Sprache wiederholt hatte. Ein Wort, das Conrad aber auf keinen Fall hätte wissen können.
    Ihr lief es eiskalt den Rücken hinab. Ob Conrad vielleicht doch ein Atlanter war? Vielleicht war sie auch nur einfach verrückt. Sie besah sich den Obelisken genauer und verglich ihn mit dem Entwurf. Bis auf die Gravierungen, die, wie sie soeben selbst gesehen hatte, die Fähigkeit besaßen, sich zu verändern, sahen sie völlig gleich aus.
    Serena nahm die Thermosflasche aus ihrem Rucksack. Sie drehte die Ummantelung, bis sie sich entriegelte, und nahm sie dann wie eine Hülle ab. Dann rollte sie die Zeichnung um das Innere der Thermosflasche und schob den Mantel wieder darüber, bis er einrastete. Auf dieses Versteck hatte sie auf ihren Reisen bereits öfter einmal zurückgegriffen. Schließlich verstaute sie die Flasche wieder im Rucksack.
    Sie blickte wieder den Südschacht hoch. Es war wohl nicht ratsam, sich ohne Conrad

Weitere Kostenlose Bücher