Stadt unter dem Eis
seiner Brusttasche. Wenn er einen Weg fand, es herauszuholen, konnte er damit vielleicht die Fesseln durchbrennen. Conrad ließ sein Kinn auf die Brust fallen und zog mit den Zähnen seine Sonnenbrille heraus, die er in den Ausschnitt gehängt hatte. Dann führte er die Brille vorsichtig in seine Brusttasche, um damit das Feuerzeug herauszuheben. Nach kurzer Zeit gab er mit schmerzendem Genick auf. Die vibrierenden Maschinen in der Sonnenbarke brachten ihn jedoch dazu, es noch einmal zu versuchen.
Diesmal klappte es. Es gelang ihm, das Feuerzeug herauszuschaufeln. Die Brille im Mund, balancierte er das Feuerzeug mit einer Kopfdrehung nach links und schob es unter den Jackenkragen. Wenn es nur bis zum Ärmel käme …
Das Feuerzeug rutschte tatsächlich in den Ärmel und landete mit etwas Schütteln schließlich in seiner Hand. Mit einigem Geschick zündete er das Feuerzeug. Er fluchte, weil die Flamme seine Hand verbrannte. Fast hätte er das Feuerzeug wieder fallen lassen.
Einen Augenblick lang rührte er sich nicht. Er suchte einen Weg, die Fesseln mit der Flamme zu lösen, ohne sich Verbrennungen dritten Grades zuzuziehen. Er kam zu dem Schluss, dass kein Weg an den Schmerzen vorbeiführte. Er atmete tief ein, biss die Zähne zusammen und zündete das Feuerzeug. Die Flamme stach in sein Handgelenk, während er sich an den Fesseln zu schaffen machte. Sein innerer Impuls war es, das Feuerzeug fallen zu lassen, aber er zwang sich, es fest zu umklammern. Bald strömten ihm die Tränen aus den Augen, aber er konzentrierte sich auf die Sonnenbarke und sein Ziel, das nun greifbar nahe lag.
Der Geruch des eigenen verbrannten Fleisches – es roch wie verbrannter Gummi – erregte Übelkeit in ihm. Er konnte es nicht länger ertragen. Das Feuerzeug glitt ihm aus der Hand und fiel klirrend auf den Steinboden. Ihm wurde langsam bewusst, dass er seine letzte Chance, dem Ganzen zu entkommen, vertan hatte. Schlimmer noch, der Gummigeruch kam von seinem Uhrarmband, das er durchgeschmort hatte.
Conrad stöhnte. Nun hatte er nichts mehr zu verlieren. Er zog seine Handgelenke auseinander. Der verkohlte Strick gab etwas nach und glitt schließlich über seine Hände. Er schrie vor Schmerz auf.
Mit aller Kraft riss er ein letztes Mal die Hände auseinander. Die rauen Fesseln zerrten an den empfindlichen, versengten Handgelenken, bis die verkohlten Stränge endlich rissen und seine Hände freigaben.
Conrad taumelte vorwärts und starrte auf die Ringe um seine zitternden Hände. Dann riss er zwei Stoffstreifen von der Uniform, die er trug, und verband sie damit. Er hob die Kalaschnikow auf und raste durch den Staub auf die Sonnenbarke zu.
Er betrat den Rundbau und kam zur Außentür des Schiffs, die er zuvor mit Yeats entdeckt hatte. Sie war fest verschlossen, vibrierte aber von jener Energie, die den gesamten riesigen Obelisken erfasst hatte. Er legte die Hand auf das quadratische Feld.
***
Kurz darauf fuhr Conrad mit der Plattform zu der Ebene hoch, wo sich die ›Kühlkammern‹ befanden. Direkt über sich sah er die Ausstiegsluke, die zur Kommandozentrale des Schiffs führte. Der Lichtkreis verriet ihm, dass sich dort Yeats mit dem Obelisken befand. Er blickte nach links den Gang hinunter, der zur Osiris-Kammer führte, und dann nach rechts zu dem Gang, der bei der Isis-Kammer endete. Er ging nach rechts.
Am Ende des dunklen Tunnels schien ein unheimliches blaues Licht. Als Conrad sich der Tür der Eisgruft näherte, bemerkte er, dass sie geschlossen war und dass die Rillen, die in die Metalltür eingraviert waren, nun leuchteten. Er wusste augenblicklich, dass ›Isis‹ in der Kammer war. Yeats hatte Serena eingefroren.
»Yeats, du verdammter Mistkerl«, knurrte er und schlug mit dem Lauf der Kalaschnikow an die Tür.
Er prüfte das quadratische Feld neben der Tür. Er legte die Hand darauf und hörte einen hohen Summton. Das Licht in den Rillen wurde plötzlich heller und leuchtete mit einer solchen Intensität, dass er die Hand vor die Augen legen und in den Gang zurücktreten musste. Genauso schnell, wie sie aufgeleuchtet hatte, verblasste die Helligkeit wieder zu einem matten Schein, der dann noch einmal wie die letzte Glut eines ausgehenden Feuers aufflackerte, um schließlich ganz zu verlöschen.
Mein Gott, dachte Conrad. Was habe ich da gemacht?
Mit den Fäusten hämmerte er auf die eiskalte Tür ein. Vergeblich. Er wusste, dass es sinnlos war. Er gab auf und ließ sich an der Tür entlang auf den Boden
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