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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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mit einem kleinen Silberlöffel weißes Pulver aus einem Glasfläschchen. In den Löffelgriff war ein Ökologiesymbol eingraviert.
    »Sporting Life«, sagte Mona. »Happy Dust. Das Zeug gehört in Amerika einfach dazu.« Sie schob das Pulver zu einer Linie quer über den Spiegel zusammen. »Alle Stummfilmstars haben geschnupft. Was meinst du, warum sie so dahergekommen sind?« Sie wackelte mit Kopf und Armen und äffte Charlie Chaplin nach.
    »Und jetzt«, fuhr sie fort, »fehlt uns bloß noch ein hundsordinärer, universal einsetzbarer Essensgutschein.« Wie aus dem Nichts hatte sie plötzlich einen Zehn-Dollar-Essensgutschein in der Hand, den sie Mary Ann wie ein Zauberer zur Prüfung von beiden Seiten präsentierte.
    »Bekommst du Essensgutscheine?« fragte Mary Ann. Sie verdient bestimmt viermal soviel wie ich, dachte die Sekretärin.
    Mona war zu beschäftigt, um darauf eine Antwort zu geben. Sie rollte den Essensgutschein zu einem kleinen Röhrchen und steckte dieses in ihr linkes Nasenloch. »Erstaunlich, was? Und uuuunheimlich sexy!«
    Sie fuhr dem Pulver hinterher wie ein wildgewordener Ameisenbär. Mary Ann war entsetzt. »Mona, ist das …?«
    »Jetzt du.«
    »Nein danke.«
    »Ach … komm schon. Wenn man unter Leute will, wirkt es wahre Wunder.«
    »Ich bin schon nervös genug.«
    »Es macht einen doch nicht nervös, Herzchen. Es …« Mary Ann stand auf. »Ich muß gehen, Mona. Ich bin spät dran.«
    »O Gott!«
    »Was?«
    »Bei dir komm ich mir ja vor, als wär ich … ein Junkie.«
     
    Mrs. Madrigal wirkte in dem schwarzen Hausanzug aus Satin und der darauf abgestimmten Kopfbedeckung beinahe elegant.
    »Ah, Mary Ann. Ich hab gerade das Gazpacho im Mixer. Bedien dich doch schon mal bei den hors d’œuvres. Ich leiste dir dann gleich Gesellschaft.«
    Die »hors d’œuvres« waren auf zwei Tellern symmetrisch arrangiert. Auf dem einen lagen mehrere Dutzend gefüllter Pilze. Auf dem anderen ein halbes Dutzend Joints.
    Mary Ann entschied sich für einen Pilz und sah sich in der Wohnung um.
    Zwei ziemlich plump gemachte Marmorstatuen flankierten den Kamin: ein Junge mit einem Dorn im Fuß und eine Frau mit einem Krug. Überall baumelten Seidenfransen – von Lampenschirmen, Überwürfen, Vorhängen und Volants, und sogar von dem Türbogen, durch den es auf den Flur hinausging. Das einzige Foto zeigte die Panama-Pacific-Ausstellung von 1915.
    »Na, wie findest du mein kleines Bordell?« Mrs. Madrigal stand in dramatischer Pose unter dem Türbogen.
    »Es ist … recht hübsch.«
    »Mach dich nicht lächerlich! Es ist die reinste Entartung!«
    Mary Ann lachte. »Sie wollten es so haben?«
    »Natürlich. Nimm dir doch einen Joint, Liebes, und komm ja nicht auf die Idee, ihn rumzureichen. Ich ekle mich vor diesen durchgeweichten Gemeinschaftsjoints! Ich meine … wenn man sich schon der Entartung hingibt, dann kann man das auch mit Stil machen, findest du nicht?«
     
    Es gab noch zwei weitere Gäste. Der eine war ein etwa fünfzigjähriger rotbärtiger Dichter aus North Beach, der Joaquin Schwartz hieß. (»Ein netter Kerl«, vertraute Mrs. Madrigal Mary Ann an, »aber ich wäre dankbar, wenn er sich an die Groß- und Kleinschreibung halten würde.«) Der andere Gast war eine Frau namens Laurel, die in der Haight-Ashbury Free Clinic arbeitete. Ihre Achselhöhlen waren nicht rasiert.
    Joaquin und Laurel unterhielten sich während des ganzen Essens über ihre Lieblingsjahre. Joaquin schwor auf 1957. Laurel fand, daß 1967 das einzig Wahre war … oder gewesen war.
    »Wir hätten so weitermachen können«, sagte sie. »Ich meine, es lief doch ganz prima, oder? Wir hatten damals alle alles gemeinsam … das Acid, die Musik, den Sex, die Konzerte im Avalon, den Hund, das menschliche Sein an sich. Wir waren vierzehn Freaks in dieser Wohnung an der Oak Street; vierzehn Freaks und sechs Schlafsäcke. Es war verdammt schön, weil es … weil es Geschichte war. Wir waren Geschichte. Mensch, wir haben es bis aufs Titelbild vom Time Magazine geschafft!«
    Mrs. Madrigal zeigte sich höflich. »Und was ist deiner Meinung nach passiert, Liebes?«
    »Sie haben es abgemurkst. Nicht die Bullen. Die Medien.«
    »Was haben sie abgemurkst?«
    »Neunzehnhundertsiebenundsechzig.«
    »Ich verstehe.«
    »Nixon, Watergate, die verfluchte Patty Hearst, die Zweihundertjahrfeier. Den Medien wurde 1967 über, und deswegen haben sie’s einfach fertiggemacht. Dabei hätte es noch einige Zeit weitergehen können. Ein bißchen was davon

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