Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Sonntagnach mittag, und Beauchamp war von seinem Wochenende mit den Guardsmen auf dem Mount Tarn immer noch nicht zurück.
Wie aufgezogen lief sie auf der Suche nach etwas, mit dem sie sich beschäftigen konnte, im Penthouse herum. Sie hatte bereits Town and Country gelesen, die Birkenfeigen gegossen, den Corgi ausgeführt und mit Michael Vincent über die Korbmöbel für das Wohnzimmer geplaudert.
Es blieben nur noch die Rechnungen.
Sie nahm an ihrem escritoire Platz und machte sich daran, die Fensterkuverts aufzuschlitzen. Die letzte Rechnung von Wilkes Bashford belief sich auf eintausendsiebenhundertachtundvierzig Dollar. Daddy würde zerspringen vor Wut. Sie hatte diesen Monat bereits drei Vorschüsse auf ihre Apanage erhalten.
Weg damit. Wenigstens diesmal sollte Beauchamp für seine Rechnungen bluten. Sie hatte es gründlich satt.
Ärgerlich stand sie auf und ging ans Fenster, wo sie sich einem Panorama von fast schon grotesker Exotik gegenübersah: der bewaldete Abhang des Telegraph Hill, die schlichte Erhabenheit eines norwegischen Frachters, der kühne blaue Schwung der Bay …
Und dann … das plötzliche Aufblitzen von grellem Grün, als ein Schwarm – nein, der Schwarm – Papageien nach Norden zu den Eukalyptusbäumen oberhalb von Julius Castle flog.
Die Vögel standen auf dem Russian Hill in einem legendären Ruf. Früher einmal hatten sie verschiedenen Menschen gehört. Dann waren sie ihren jeweiligen Käfigen irgendwie entflohen und hatten sich zu dieser lärmenden Einheit von Freiheitskämpfern zusammengeschlossen. Den meisten Berichten zufolge verbrachten sie die eine Hälfte des Tages auf dem Telegraph Hill, die andere auf dem Potrero Hill. Ihr Krächzen während des Fluges betrachteten viele Leute aus dem Viertel als eine Hymne an die befreite Seele.
Nicht so DeDe.
Sie fand die Papageien in aufsässiger Weise arrogant. Man konnte sich in der Stadt den wunderbarsten Papagei kaufen, doch Liebe, hatte sie beobachtet, konnte man von ihm nicht erwarten. Man konnte ihn füttern, sich um ihn kümmern und vor Freude über seinen Liebreiz spitze Schreie ausstoßen, doch es gab keine Garantie, daß er einen nicht verlassen würde.
Bestimmt gab es daraus etwas zu lernen.
DeDe schloß sich im Bad ein und goß eine halbe Flasche Vitabath in die Wanne. Sie suhlte sich eine Stunde lang im Wasser und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Es half immer, an alte Zeiten zu denken, an sorglose Tage in Hillsborough, wo sie und Binky und Muffy öfters die Schlüssel für Daddys Mercedes stibitzten, im Fillmore herumkutschierten und die an den Straßenecken herum lungernden schwarzen Sexbolzen hänselten.
Eine schöne Zeit. Vor dem Kotillon. Vor dem Spinsters Ball. Vor Beauchamp.
Und was war jetzt? Muffy hatte einen kastilischen Prinzen geheiratet. Binky spielte immer noch das verwöhnte Prinzeßchen aus jüdischem Hause.
Und DeDe war mit dem Sprößling einer verarmten, aber vornehmen Bostoner Familie geschlagen, der sich einbildete, ein Papagei zu sein.
Als DeDe so im warmen, angenehm duftenden Wasser lag, wurde ihr mit einemmal klar, daß sich der Großteil ihrer Vorstellungen von Liebe und Ehe und Sex gefestigt hatte, als sie vierzehn gewesen war.
Mutter Immaculata, ihre Sozialkundelehrerin, hatte ihr erklärt, wie alles lief:
»Die Jungen werden es darauf anlegen, dich zu küssen, DeDe. Mit dem mußt du rechnen, und dem mußt du begegnen können.«
»Aber wie?«
»Die Antwort liegt ganz nah an deinem Herzen, DeDe. Es ist das Skapulier, das du um den Hals trägst.«
»Ich verstehe nicht so ganz, wie …«
»Wenn ein Junge dich zu küssen versucht, mußt du dein Skapulier herausziehen und sagen: ›Hier, küß das, wenn du etwas küssen mußt‹«
Auf DeDes Skapulier befand sich eine Abbildung von Jesus oder vom heiligen Antonius oder sonst einem von denen. Keiner hatte je versucht, es zu küssen.
Mutter Immaculata kannte sich wirklich aus.
DeDe stieg aus der Wanne und stand danach lange vor dem Spiegel, wo sie sich Oil of Olaz ins Gesicht schmierte. Das Gewebe unter ihrem Kinn war weich und schwammig. Nichts Dramatisches. Es konnte immer noch für Babyspeck durchgehen.
Der Rest ihres Körpers hatte eine gewisse … sinnliche Qualität, wie sie fand, obwohl es sicherlich schön gewesen wäre, das mal wieder von einem Außenstehenden zu hören. Wenn Beauchamp sie nicht mehr begehrte, so gab es doch andere, die das taten. Verflucht noch mal, sie hatte wahrlich keinen Grund, sich zu
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