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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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entspannten sich die beiden Frauen inmitten der überladenen Schrillheit des Club Fugazi. Als die Revue vorüber war, blieb Mrs. Madrigal sitzen und plauderte angeregt mit den ebenfalls angeheiterten Leuten in ihrer Nähe.
    »Ach, Mona … ich fühle mich … als wäre ich unsterblich. Ich finde es toll, daß wir beide hier sind.«
    Spontane Gefühlsregungen machten Mona verlegen. »Es ist eine fabelhafte Show«, sagte sie und versteckte das Gesicht hinter ihrem Weinglas.
    Mrs. Madrigal ließ auf ihrem kantigen Gesicht langsam ein Lächeln erblühen. »Du wärst so viel glücklicher, wenn du dich mit meinen Augen sehen könntest.«
    »Niemand ist glücklich. Was ist schon Glück? Mit dem Glücklichsein ist es vorbei, sobald das Licht wieder angeht.«
    Die ältere Frau schenkte sich etwas Sangria ein. »Scheiß drauf«, sagte sie sanft.
    »Was?«
    »Scheiß drauf. Und sag so was nie wieder. Wer hat dir dieses dämliche Existentialistengewäsch beigebracht?«
    »Ich wüßte nicht, was Sie das angeht.«
    »Nein. Das weißt du wohl tatsächlich nicht.«
    Mona war irritiert von der Verletztheit, die sich im Blick ihrer Begleiterin spiegelte. »Entschuldigen Sie. Ich bin heute ganz biestig drauf. Wissen Sie was … wir gehen noch irgendwohin auf einen Kaffee, ja?«
    Beim Anblick des Caffè Sport lief Mona ein Nostalgieschauer über den Rücken.
    Mrs. Madrigal hatte es nicht anders geplant.
    »O mein Gott«, sagte Mona und grinste angesichts des Neapolitanerkitschs im Restaurant. »Ich hatte schon fast vergessen, was für ein Heuler diese Kneipe ist!«
    Sie entschieden sich für einen kleinen Tisch weiter hinten, gleich neben dem verstaubten Flachrelief einer »Römischen Ruine«, das ein bemühter, aber praktischer Künstler mit Maschendraht geschützt hatte. Die Musikbox spielte einen Tango.
    Mrs. Madrigal bestellte eine Flasche Verdicchio.
    Als der Wein gebracht wurde, prostete sie Mona zu. »Auf noch mal drei«, sagte sie fröhlich.
    »Noch mal drei was?«
    »Jahre. Wir haben heute Jubiläum.«
    »Wie?«
    »Du bist jetzt seit drei Jahren bei mir Mieterin. Und zwar genau heute.«
    »Um Gottes willen, wie können Sie sich bloß an so was noch erinnern?«
    »Ich bin eine Elefantin, Mona. Alt und gebrechlich … aber glücklich.«
    Mona sah sie mit einem zärtlichen Lächeln an und hob ihr Glas. »Na, dann auf die Elefanten. Ich bin froh, daß ich mir die Barbary Lane ausgesucht habe.«
    Anna schüttelte den Kopf. »Irrtum, meine Liebe.«
    »Wie bitte?«
    »Du hast dir die Barbary Lane nicht ausgesucht. Sie hat dich ausgesucht.«
    »Was soll das heißen?«
    Mrs. Madrigal sagte augenzwinkernd: »Trink erst mal aus.«
Bei wem klingelt’s zuerst?
    Mary Ann ließ das Krisentelefon klingeln und trommelte gegen die Badezimmertür.
    »Vincent, hör mir zu. Es ist nichts so schlimm, wie es einem vorkommt! Hörst du mich, Vincent?«
    Im Geist machte sie gehetzt eine Inventur der Gegenstände im Badezimmerschränkchen. Befanden sich Scheren darin? Oder Messer? Oder Rasierklingen?
    KLLLIINNNGGEL!
    »Vincent! Ich muß ans Telefon, Vincent! Sag doch bitte was! Um Himmels willen, Vincent!«
    KLLLIINNNGGEL!
    »Vincent, du bist ein Kind des Universums! Genauso wie die Bäume und die Sterne! Du hast ein Recht, auf dieser Welt zu sein, Vincent! Ob du willst … ob du willst oder nicht … Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens …«
    Stoßweise wallte die Übelkeit in ihr hoch. Mit großen Schritten stürzte sie von der Badezimmertür ans Telefon. »Bay Area Crisis Switchboard«, keuchte sie.
    Die Stimme am anderen Ende klang so überspannt und asthmatisch wie die eines Walt-Disney-Waldgeists kurz vor der Senilität.
    »Wer spricht da?«
    »Äh … Mary Ann Singleton.«
    »Du bist neu.«
    »Sir, könnten Sie mal kurz dran …?«
    »Wo ist Rebecca? Ich rede immer mit Rebecca.«
    Mary Ann hielt die Hand über die Sprechmuschel. »VIN-CENT!«
    Schweigen.
    »VINCENT!«
    Seine Antwort hörte sich merkwürdig gedämpft an. »Was?«
    »Geht es dir gut, Vincent?«
    »Ja.«
    »Der Typ hier verlangt nach einer Rebecca.«
    »Sag ihm, daß du Rebeccas Nachfolgerin bist.«
    Mary Ann redete wieder ins Telefon. »Sir … Ich bin Rebeccas Nachfolgerin.«
    »Lügnerin.«
    »Sir?«
    »Nenn mich nicht immer Sir! Wie alt bist du überhaupt?«
    »Fünfundzwanzig.«
    »Was hast du mit Rebecca angestellt?«
    »Aber ich kenne diese Rebecca doch nicht einmal!«
    »Du kennst sie nicht, häh?«
    »Nein.«
    »Willst du mir einen blasen?«
     
    Vincent

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