Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
stand wie ein verängstigtes Eichhörnchen mitten im Zimmer. Inmitten des Gestrüpps aus Bart und Haaren blinzelten seine traurigen Augen vor sich hin.
»Mary Ann?«
Sie schaute nicht hoch. Sie hing noch immer über dem Abfalleimer.
»Kann ich dir was bringen, Mary Ann? Ein Erfrischungstuch vielleicht? Ich glaub, in der Schreibtischschublade liegt noch eins.«
Sie nickte. Vincent reichte ihr das feuchte Tüchlein und legte ihr unbeholfen die Hand auf die Schulter.
»Es tut mir leid … wirklich. Ich wollte dir keine Angst einjagen. Mein Gott, es tut mir wirklich …«
Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf den baumelnden Telefonhörer. Aufgeregtes Fiepen war zu hören. Vincent legte den Hörer auf die Gabel zurück.
»Wer war das?«
Sie richtete sich vorsichtig auf und taxierte Vincent. Es schien noch alles dran zu sein. »Er … ein Spinner, glaub ich.«
»Ach … Randy Andy.«
»Randy Andy?«
Vincent nickte. »Rebecca hat ihn so getauft. Ich hätte dich auf ihn vorbereiten sollen.«
»Ruft er oft an?«
»Ja. Rebecca hat immer gesagt, wenn es ihm egal ist, wen er anruft, dann kann er auch gleich uns anrufen.«
»Oh …«
»Das hat was mit … na ja … Wir sind halt für alle da, und …«
»Was ist mit Rebecca passiert?«
»Oh … Sie hat sich den goldenen Schuß gesetzt.«
Sie saßen wieder vor den Telefonen.
Vincent lächelte Mary Ann etwas unsicher an. »Bist du ’n Junkie oder so?«
»Was?«
Er hob ihre Dynamints-Schachtel hoch. »Du hast in fünf Minuten die halbe Packung verdrückt.«
»Ich bin wohl etwas nervös.«
»Nimm welche von meinen.« Er hielt ihr eine Tüte Studentenfutter hin. »Ich hab es aus dem Tassajara.«
»Ist das am Ghirardelli Square?«
Er lächelte nachsichtig. »Nein, in der Nähe von Big Sur. Ein Zen-Center.«
»Ach so.«
»Gewöhn dir den Zucker ab, hörst du? Sonst bringt er dich noch um.«
Die Vermieterin öffnet ihr Herz
»Okay«, sagte Mona und schüttete den Verdicchio hinunter. »Was sollte diese kryptische Äußerung bedeuten?«
Mrs. Madrigal lächelte. »Was habe ich gesagt?«
»Sie haben gesagt, die Barbary Lane hätte mich ausgesucht. Und Sie haben es wörtlich gemeint, nicht?«
Die Vermieterin nickte. »Erinnerst du dich nicht mehr, wie wir uns kennengelernt haben?«
»Das war im Savoy-Tivoli.«
»Diese Woche vor drei Jahren.«
Mona zuckte mit den Schultern. »Ich kapier’s immer noch nicht.«
»Es war kein Zufall, Mona.«
»Was?«
»Ich habe das bewerkstelligt. Und für mein Empfinden habe ich es ganz geschickt angestellt.« Sie lächelte und ließ den Wein in ihrem Glas kreisen.
Mona rief sich diesen weit zurückliegenden Sommerabend in Erinnerung. Mrs. Madrigal war mit einem Körbchen voll Alice-B.-Toklas-Brownies an ihren Tisch gekommen. »Ich habe zu viele gemacht«, hatte sie gesagt. »Nehmen Sie zwei, aber heben Sie sich einen für später auf. Denn die Wirkung ist gewaltig.«
Dem war eine angeregte Unterhaltung gefolgt, ein langer, weinseliger Plausch über Proust und Tennyson und die Astralebene. Am Ende des Abends waren aus den beiden Frauen dicke Freundinnen geworden.
Am nächsten Tag hatte Mrs. Madrigal wegen der Wohnung angerufen.
»Hier ist die Verrückte, die du im Tivoli kennengelernt hast. Es gibt da auf dem Russian Hill ein Haus, das behauptet, es sei dein Zuhause.«
Mona war zwei Tage später eingezogen.
»Aber warum?« fragte Mona.
»Du hast mir gefallen … und außerdem warst du berühmt.«
Mona verdrehte die Augen. »Genau.«
»Du warst wirklich berühmt. Der Werbefeldzug für Bademoden, den du damals bei J. Walter Thompson konzipiert hast, war in aller Munde.«
»Das war in New York.«
Mrs. Madrigal nickte. »Ab und zu lese ich auch die Wirtschaftsseiten.«
»Manchmal hauen Sie mich um.«
»Wie schön.«
»Und wenn ich damals nein gesagt hätte?«
»Wegen der Wohnung, meinst du?«
»Ja.«
»Keine Ahnung. Dann hätte ich’s wahrscheinlich mit was anderem probiert.«
»Ich schätze, ich sollte mich geschmeichelt fühlen.«
»Ja. Schätze ich auch.«
Mona spürte, wie sie rot wurde. »Jedenfalls bin ich froh.«
»Na … dann trinken wir doch darauf!«
»Moment«, sagte Mona mit einem Blick auf das erhobene Glas der Vermieterin. »Wir stoßen erst an, wenn ich weiß, worauf wir trinken.«
Mrs. Madrigal zuckte mit den Schultern. »Worauf denn wohl, meine Liebe? Auf unser Zuhause.«
Mary Ann war dort schon wieder zurück und erholte sich von ihrem Abend beim Switchboard.
Sie
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