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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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gefunden mit dir.«
    »Kann ich dich irgendwo absetzen?«
    »Nein, danke. Ich wohn gleich um die Ecke.«
    »Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?«
    »Smith.«
    »John Smith. Echt?«
    Er machte ein ziemlich trübseliges Gesicht und nickte. »Ich fürchte, ja.«
    »Das ist ja zum Schießen. Wir sollten mal in ein Hotel gehen.«
    Er reagierte nicht auf ihren Ulk. »Vielleicht laufen wir uns ja im Balboa mal wieder über den Weg.«
    »Sicher«, sagte sie vergnügt. »Kann sein. Es war toll. Wirklich. Ich war nämlich irgendwie mies drauf, als wir uns übern Weg gelaufen sind.«

Die Geschichte geht weiter
    Hoch oben in einem der Bäume um Halcyon Hill trillerte eine Wanderdrossel – eine wahrhaft merkwürdige Begleitmusik zu einer derart gräßlichen Geschichte.
    »Moment mal«, sagte Mary Ann. »Wie konnten Sie wissen, daß das Zyankali für den Zweck bestimmt war … für den es später eingesetzt wurde?«
    »Ich wußte es einfach«, antwortete DeDe grimmig. »Wenn man dort lebte, wußte man es. Captain Duke war sogar noch mehr davon überzeugt als ich. Ihm war klar, wie fixiert Dad auf die Zwillinge war, und er wußte auch, daß …«
    »Ihr Vater war …?«
    »Mein Vater?«
    »Sie haben eben Dad gesagt.«
    DeDe verzog das Gesicht. »Ich hab ihn gemeint. Jones. Ein paar von uns haben ihn Dad genannt.« Obwohl sie in der Sonne saß, durchlief sie ein Frösteln. Dann lächelte sie Mary Ann matt an. »Wenn Sie davon keine Gänsehaut kriegen, dann weiß ich nicht.«
    Die Härchen auf Mary Anns Unterarmen standen bereits kerzengerade in die Höhe. Sie hielt einen Arm hoch, um es DeDe zu zeigen.
    DeDe fuhr fort: »Das Entscheidende ist … Jones war ganz verrückt nach meinen Kindern. Er nannte sie seine kleinen Dritte-Welt-Wunder. Für ihn waren sie die Hoffnung für die Zukunft, die lebende Verkörperung der Revolution. Manchmal nahm er sie in der Krabbelstube beiseite und sang ihnen kleine Liedchen vor. Ich wußte, daß er nicht in den Tod gehen würde, ohne sie mitzunehmen.« Sie schaute Mary Ann in die Augen. »Ich wußte, daß er sich nicht umbringen würde, ohne auch sie umzubringen.«
    Mary Ann nickte gebannt.
    »Ich sprach also mit D’orothea, und wir planten dann die Flucht … mit Captain Dukes Hilfe. Eines Morgens brachen wir zu einer ganz normalen Fahrt nach Kumaka auf. D’orothea begleitete mich sowieso manchmal, deshalb wurde niemand mißtrauisch. Aber die Zwillinge mußten wir natürlich klammheimlich an Bord bringen. Als wir nach Kumaka kamen, nahmen wir Vorräte an Bord und fuhren anschließend einfach weiter den Fluß hinunter bis zu einem Dorf namens Morawhanna, wo Captain Duke den Kapitän der Pomeroon bestach. Das war ein Frachter, der regelmäßig zwischen Morawhanna und Georgetown pendelte … meistens hatte er Fische geladen.«
    »Äh … tote Fische, meinen Sie?«
    DeDe schüttelte den Kopf. »Tropenfische. Die sind in Guyana ein wichtiger Exportartikel. Wegen der Fische gibt es an Bord große Metallfässer, und ein paar von denen waren leer, so daß wir uns in zweien davon versteckten, bis wir in Georgetown einliefen. Das war vierundzwanzig Stunden später.«
    »O Gott«, sagte Mary Ann.
    »Ich hatte den Kindern ein Beruhigungsmittel gegeben. Das machte es etwas leichter. Aber der Großteil der Reise ging übers offene Meer. Scheußlich. Das schlimmste Erlebnis meines Lebens. Es wurde ein bißchen leichter, als wir nach Georgetown kamen. Captain Duke hatte organisiert, daß wir von einem anderen ppp-Funktionär abgeholt wurden …«
    »Sie haben das schon mal erwähnt. Was heißt PPP?«
    »People’s Progressive Party. Dschungelkommunisten. Binnen vierundzwanzig Stunden saßen wir in einem Flugzeug nach Havanna. D’orothea und ich arbeiteten bereits in einer Konservenfabrik, als die Nachricht von dem Massaker kam.«
    »Wie lang haben Sie dann in Havanna gelebt?«
    »Zweieinhalb Jahre. Bis letzten Monat.«
    »Hat man Sie nicht nach Hause gelassen?«
    »Wenn Sie damit hier meinen, dann wollte ich auch nicht nach Hause. D’orothea und ich waren glücklich. Die Kinder waren glücklich. Das hatte mit Prinzipien zu tun, mit Dingen, die uns wichtig waren.« DeDe lächelte verzagt. »Waren. Vergangenheitsform. Einer unserer geliebten Genossen fand es heraus.«
    »Fand was heraus?«
    »Daß D’orothea und ich ein Liebespaar waren.«
    Mary Ann wurde unwillkürlich rot. »Also hat man Sie … äh … deportiert?«
    DeDe nickte. »Man stellte uns quasi vor die Wahl. D’orothea entschied sich fürs

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