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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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hören. Sie haben mich behandelt, als wär ich verrückt oder so.«
    Mary Ann schwieg dazu.
    »Mary Ann … bitte … schreiben Sie mich noch nicht als hoffnungslosen Fall ab.« DeDe sah sie flehentlich an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das Verrückte kommt erst noch.«
    Mary Ann nahm ihre Hand. »Erzählen Sie weiter«, sagte sie. »Ich bin ganz Ohr.«
    »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagte DeDe schluchzend. »Ich hab das Davonlaufen so was von satt …«
    »Weinen Sie doch nicht, DeDe. Es kann nicht so schlimm sein, wie …«
    »Ich hab ihn gesehen, Mary Ann!«
    »Was?«
    »Gestern. Im Steinhart Aquarium. Meine Mutter hat mich völlig verrückt gemacht, und deshalb bin ich in die Stadt gefahren … nur, um ein bißchen rumzulaufen. Ich war zuerst bei einem Konzert im Park … bin danach ins Aquarium gegangen … und unter den Leuten dort hab ich ihn gesehen.«
    »Sie haben … Jones gesehen?« Mary Ann war fassungslos.
    DeDe nickte. Ihr Gesicht war angstverzerrt.
    »Was hat er gemacht?«
    »Geguckt …« Sie war kaum noch zu verstehen. Als Mary Ann spürte, wie auch ihre Unterlippe zu zittern anfing, drückte sie DeDes Hand noch fester.
    »Geguckt?« fragte sie vorsichtig.
    DeDe wischte sich mit der freien Hand über die Augen und nickte. »Die Fische angeguckt. Genau wie ich.«
    »Es ist furchtbar duster da drin. Sind Sie sicher, daß Sie …?«
    »Ja! Er hat schlanker ausgesehen, und entschieden gesünder, aber er war’s. Ich wußte es in dem Moment, als ich ihm in die Augen sah.«
    »Er hat Sie gesehen?«
    »Er hat mir zugelächelt. Es war grauenhaft.«
    »Wie haben Sie reagiert?«
    »Ich bin zurück zum Auto gerannt und nach Hause gefahren. Seither hab ich das Haus nicht mehr verlassen. Ich weiß, wie sich das anhört, glauben Sie mir. Sie hätten allen Grund …«
    »Ich glaube Ihnen.«
    »Wirklich?«
    »Ich glaube, daß es für Sie real ist. Das genügt mir.«
    DeDe hörte auf zu schluchzen. Sie funkelte Mary Ann wütend an und riß dann verärgert ihre Hand weg. »Sie halten mich für hysterisch, was?«
    »DeDe, ich finde, Sie waren unglaublich tapfer …«
    »Tapfer? Sehen Sie mich doch an! Ich hab eine Scheißangst! Glauben Sie, ich weiß nicht, was die Polizei sagen würde … was die ganze verdammte Welt sagen würde über das arme kleine Mädchen aus reichem Hause, das in Jonestown durchgeknallt ist? Schauen Sie doch nur, wie Sie reagieren. Und Sie wollen meine Freundin sein!«
    »Ich bin Ihre Freundin«, sagte Mary Ann lahm.
    »Dann sagen Sie mir doch, was ich machen soll. Was soll ich mit meinen Kindern machen?«

Gangie
    Klein Edgar und seine Schwester Anna rannten freudestrahlend über den braunen Rasen von Halcyon Hill, kamen auf die Terrasse zu ihrer Großmutter und zwickten sie von links und rechts ins Bein.
    »Gangie, Gangie … guck mal!«
    Frannie stellte ihre Teetasse auf die Glasscheibe des Tischs und lächelte die beiden Vierjährigen an. »Was habt ihr denn da, ihr zwei Süßen? Was wollt ihr Gangie zeigen?«
    Klein Anna stieß ihr Fäustchen nach vorne, machte es auf und gab eine kleine graue Kröte zur Besichtigung frei, die wie ein Herz pulsierte. Frannie rümpfte die Nase, bemühte sich aber redlich um einen anerkennenden Ton. »Na … seht euch das mal an! Weißt du, was das ist, Edgar?«
    Edgar schüttelte den Kopf.
    »Das ist ein Frosssch«, sagte Anna mit einer gewissen Selbstgefälligkeit.
    Edgar warf seiner Zwillingsschwester einen verächtlichen Blick zu. »Ich hab ihn gefunden«, erklärte er trotzig, als wollte er für sein Versagen bei der Benennung des Tiers einen Ausgleich schaffen.
    »Wißt ihr, er ist wirklich wunderschön«, sagte Frannie in süßlichem Ton, »aber ich denke, ihr solltet ihn dorthin zurückbringen, wo ihr ihn gefunden habt.«
    »Wieso?« fragten beide gleichzeitig.
    »Na ja … weil er eines von Gottes kleinen Geschöpfen ist, und außerdem kommt er mir noch sehr klein vor. Wahrscheinlich fehlt ihm seine Mommy. Ihr würdet doch auch nicht wollen, daß jemand euch von eurer Mommy wegholt, oder?«
    Vier Mandelaugen wurden ganz groß. Die Zwillinge schüttelten gleichzeitig den Kopf.
    »Na also … dann lauft jetzt los und setzt ihn genau dort wieder ab, wo ihr ihn gefunden habt. Und wenn ihr zurückkommt, hat Gangie eine große Überraschung für euch.«
    Frannie sah zu, wie die beiden an den Rand des Rosengartens zurückhasteten, und erfreute sich an der klassischen Schlichtheit des Geschehens. Sie war überzeugt, daß sie die

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