Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
ihm gut, und er wohnt in Moskau. Warum, um alles in der Welt, sollte er nach San Francisco zurückkommen, im Steinhart Aquarium herumspazieren und sich dort sehen lassen?«
Schweigen.
Mary Ann reagierte behutsam. »Solche Fragen wird man Ihnen stellen, DeDe. Ich möchte, daß Sie sich darauf gefaßt machen.«
»Auf so was werd ich nie gefaßt sein«, sagte sie grimmig.
Mary Ann stand auf, setzte sich neben DeDe und umarmte sie unbeholfen. »Tut mir leid. Mein Gott, ich … wissen Sie, wir können die Sache mit dem Doppelgänger auch weglassen, wenn sie möchten. Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie wieder da sind, und den Rest lassen wir …«
»Nein!« DeDe schüttelte energisch den Kopf. »Ich will dieses Arschloch drankriegen. Ich will, daß die Sache aus der Welt geschafft wird. Ich hab keine Lust, den Rest meines Lebens herumzukrebsen und mich zu fragen, ob er auf mich wartet … und ob … ob die Kinder …«
»Und wenn Sie den Doppelgänger gesehen haben?«
DeDe schüttelte erneut entschieden den Kopf. »Bestimmt nicht.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Ich bin es einfach, das ist alles.«
»Er hat sich überhaupt nicht verändert? Dann müßten ihn die Leute doch erkennen.«
»Würden Sie ihn erkennen?« fragte DeDe. »Mensch, wer erwartet denn, ausgerechnet ihm über den Weg zu laufen.«
»Mhm. Ich versteh, was Sie meinen.«
»Außerdem … er hat sich irgendwie verändert. Vielleicht ist es seine Nase … ich weiß nicht. Vielleicht hat man ihm in Moskau das Gesicht operiert. Herrgott, wenn Sie mir nur glauben würden! Ich erinnere mich an die Vergangenheit, Mary Ann. Ich werde nicht dazu verdammt sein, sie zu wiederholen!« DeDe zuckte wie unter einem Schlag zusammen. »O Gott! «
»Was ist?« fragte Mary Ann.
»Nichts«, sagte DeDe. »Ich bete immer noch seinen Jargon nach, das ist alles.«
»Welchen Jargon?«
DeDe tat es mit einem Achselzucken ab. »Bloß so ein dummes Zitat, das er über seinem Thron hängen hatte.«
Geschmackstest
»Tut mir leid, daß ich so spät dran bin«, sagte Bill Rivera, als er sich im Welcome Home zu Michael an den Tisch setzte. »Aber der Freund vom Bruder von meinem Exfreund ist grade erst abgereist.«
»Moment mal. Der …?«
Der Polizist lächelte. »… Freund vom Bruder von meinem Exfreund. Das war vielleicht ’ne schwere Geburt bei dem Kerl.«
»Was? Daß er nach San Francisco gekommen ist, oder daß er schwul geworden ist?«
»Mehr oder weniger beides … und dieser Dreckskerl hat sich dazu ausgerechnet meine Wohnung ausgesucht. Aus heiterem Himmel hat er bei mir vor der Tür gestanden. Mit vierzehn verschiedenen Fummeln!«
»Etwa … Leder?«
»Leder, Cowboyzeugs, Signaltücher für die Arschtasche, Tittenklemmen, dreiteilige Anzüge … alles.«
Michael lächelte. »Und rate mal, wer ihn überall rumführen sollte.«
Bill schüttelte den Kopf. »Ich hab den Kerl kaum gesehen. Er hat grade lang genug reingeschaut, um zu schlafen, seine Verkleidung zu wechseln oder mein Poppers zu klauen, und dann ist er auch schon wieder abgezischt. Er ist vom Alta Plaza ins Badlands gezogen, von dort ins Caldron und dann wieder zurück, während ich zu Hause geblieben bin und Fernsehen geguckt habe. Als er heute vormittag gegangen ist, hat er auf einmal ein ganz ernstes Gesicht gemacht und gesagt: ›Weißt du, Bill, diese Stadt ist so was von dekadent. Ich könnte hier nie leben.‹ Am liebsten hätt ich das Arschloch mit seinem Harness erwürgt.«
Michael lachte und reichte Bill die Speisekarte. »Die aus L. A. sind die allerschlimmsten.«
»Der Kerl ist aus Milwaukee. Dort denken sogar die Schwuchteln, daß wir’s hier schon zu weit getrieben haben.«
Michael grinste, weil ihm plötzlich etwas einfiel. »Hast du schon von dem Feuer gehört, das es letzte Woche in der Muni-Metro-Station an der Castro gegeben hat?«
Der Polizist schüttelte den Kopf.
»Es war nur was Kleines«, erzählte Michael weiter. »Aber es kam gleich ein ganzer Gerätewagen angerauscht … mit einem halben Dutzend geilen Feuerwehrmännern drauf. Sie blieben gegenüber dem Castro Theatre stehen, konnten aber nicht in die Metro-Station rein, ohne sich vorher durch einen Hoedown zu schlängeln, den die Foggy City Squares dort veranstaltet haben.«
»Übersetz das mal«, sagte Bill.
»Eine schwule Volkstanzgruppe. Sie führten vor der Bank of America einen großen Square-dance auf. Sie klatschten und schrien ›Jippie‹ und sangen ›The Trail of the Lonesome Pino‹.
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