Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
Vom Netzwerk:
hatte in einer Kleinstadt im Südosten Alaskas die Pflegekinder von Frannie Halcyon entführt. Und die Sagafjord legte in knapp zwei Stunden ab.
    Jetzt ging’s ans Eingemachte.

Die Greueltat
    Prue fiel ein, was sie vor langer Zeit bei den Camp Fire Girls gelernt hatte. Mit Hilfe eines zweiten ölverschmierten Lappens machte sie eine Aderpresse und wickelte sie rasch um ihren Knöchel.
    Nach drei Minuten lockerte sie die Bandage weit genug, um festzustellen, daß die Blutung gestillt war, und stand vorsichtig auf. Sobald sie den Knöchel belastete, trat ein perlgroßer rubinroter Blutstropfen aus. Sie tupfte ihn behutsam ab und stand wimmernd da, bis sie sich sicher genug fühlte, um zu gehen.
    Dann machte sie sich auf den Weg zum Schiff.
    Als sie das unratübersäte Grundstück verließ, hörte sie hinter sich eine wütende Stimme: »He, Sie da!«
    Sie zuckte zusammen. Als sie sich umdrehte, erblickte sie einen bulligen rothaarigen Mann von Ende Vierzig. Er steckte in einem Overall und hatte eine Hacke dabei, die er wie einen Speer hielt.
    »Gehört der Dreckskerl zu Ihnen?«
    Prue hatte Mühe, ihre Stimme wiederzufinden. »Ich … wenn Sie … äh …«
    »Hören Sie mal, Gnädigste … ich bring die Drecksau um, wenn’s sein muß! Ich find raus, wer er ist, und dann …« Er unterbrach sich, als er das Blut auf Prues Knöchel sah. »Was is los?« sagte er in einem Ton, der nun eine Spur weniger hysterisch war.
    »Ich bin gestürzt«, sagte sie matt. »Ich hab mich an der Bettfeder dort geschnitten. Schreien Sie mich bitte nicht an.« Sie begann zu schniefen. »Ich verkrafte das nicht mehr. Nein! «
    Der Mann ließ seine Hacke fallen und ging auf sie zu. »Hat er das getan?«
    »Ein Mann in einem blauen Blazer?«
    »Ja. Kennen Sie ihn?«
    Prue nickte niedergeschlagen. »Ich bin … ihm nachgelaufen. Haben Sie gesehen, wo er hin ist?«
    »Da durch«, sagte der Mann und deutete auf einen windschiefen Holzzaun, in dem zwei Bretter fehlten. »Quer durch meinen Garten, der Scheißkerl!«
    Vielleicht fünf Sekunden lang spielte Prue mit dem Gedanken, ihn zu verfolgen, doch sie brachte keine Kraft mehr auf, und es war ihr klar, daß Luke mit den Waisenkindern längst weg war. Sie bedankte sich bei dem Mann und fügte im Weggehen noch hinzu: »Ich hoffe, er hat Ihren Garten nicht kaputtgemacht.«
    Der Mann explodierte. »Von wegen Garten!« Er packte sie am Handgelenk und zog sie zu dem Loch im Zaun. »Ich werd Ihnen mal was zeigen, Gnädigste!«
    Um Himmels willen, was würde er ihr zeigen? Was hatte Luke nur angestellt?
    Durch das Loch kamen sie in einen kleinen Hinterhof, der von dem zugemüllten Grundstück nebenan praktisch nicht zu unterscheiden war. Eine Reihe weiß lackierter, mit Petunien bepflanzter Traktorreifen war das einzige Zugeständnis an den Schönheitssinn. Vor dem Zaun an der Rückseite stand eine Art Schuppen mit Unterteilungen für … ja, wofür? … Käfige?
    Der Mann führte sie zu dem Schuppen.
    »So, und jetzt erklären Sie mir mal, was das soll!«
    Als Prue hinschaute, schrie sie laut auf, dann wurde ihr übel, und schließlich kotzte sie hinter dem Schuppen ins Unkraut.
    Der Mann stand zuerst betreten daneben und bot ihr dann sein Taschentuch an.
    »Ihr Freund ist verrückt, Gnädigste. Was soll man da sonst sagen?«
     
    Eine halbe Stunde später lief Frannie auf dem Promenadendeck der Sagafjord nervös hin und her. Da vor ihnen bereits zwei andere Kreuzfahrtschiffe angelegt hatten, lag ihr Schiff im Hafen vor Anker. Mehrere Barkassen pendelten zwischen dem Schiff und dem Anleger hin und her. Die Matriarchin fixierte jede einzelne Barkasse.
    »Wenn etwas passiert ist, werde ich mir nie verzeihen, daß …«
    »Gar nichts ist passiert«, sagte Claire. »Immer mit der Ruhe, Liebes. Sie sind schlimmer als ’ne junge Mutter.«
    »Aber wir legen in einer Stunde ab.«
    »Das wissen die zwei.«
    »Aber ich kenne diese Giroux. Sie ist eine flatterhafte Person. Wahrscheinlich hat sie den Kerl in einen Laden verschleppt und kümmert sich …«
    »Sehen Sie mal!« rief Claire und deutete auf den Kai, »gerade kommt wieder eine Barkasse!«
    Frannies Anspannung ließ augenblicklich nach. »Gott sei Dank!«
    Claire schalt sie grinsend: »Sie sind vielleicht ’n ängstliches Ding!«
    »Auf welches Deck führt die Gangway?«
    »Aufs A-Deck, glaub ich.«
    »Ich werde sie abholen«, sagte Frannie.
    »Soll ich mitgehen?«
    Frannie lächelte. »Ich weiß, daß Sie mich albern finden. Manchmal kann ich aber

Weitere Kostenlose Bücher