Stadtluft Macht Frei
anderen Namen. Und fast überall nahmen diese Leute das gleiche Schicksal. In Rothenburg ob der Tauber beispielsweise hieß er Heinrich Toppler – der mächtige und reiche Enkel eines um 1300 nach Rothenburg eingewanderten Mannes, der zwischen 1384 und 1408 mehrfach das Bürgermeisteramt der Stadt bekleidete. Nach einer Niederlage der Stadt 1408 wurde der damals bereits über 60-Jährige von politischen Gegnern verhaftet und, wenn auch unter unklaren Umständen, wenige Tage später im Keller des Rathauses ermordet. In Greifswald hieß er Heinrich Rubenow – |89| der Bürgermeister der Stadt, der Gelehrte, der Gründer der Greifswalder Universität und deren erster Rektor, der aus einer Gelehrten- und Politikerfamilie mit langer Tradition stammte, avancierte um 1460 in seinem Amt zum „Stadt-Tyrannen“. Rubenow wurde – wie Toppler bereits im fortgeschrittenen Alter – am 31. Dezember 1461 von zwei Greifswalder Bürgern mit dem Beil auf dem Rathaus erschlagen. In Zürich hieß er Hans Waldmann – der Aufstieg des 1435 in Blickensdorf im heutigen Kanton Zug Geborenen, der aus bescheidenen Verhältnissen stammte, vollzog sich vorwiegend über Heirat sowie durch Beteiligung am Söldnergeschäft. Am 6. April 1489 wurde Waldmann auf einem Gerüst vor der Stadt durch Enthaupten hingerichtet.
Ein gehenkter Ulrich Schwarz in Augsburg, ein ermordeter Heinrich Toppler in Regensburg, ein erschlagener Heinrich Rubenow in Greifswald, ein enthaupteter Hans Waldmann in Zürich: Das fast immer gleiche Ende ändert nichts an der Existenz dieser spätmittelalterlichen Stadt-Tyrannen. Ihr Bild wirkt verstörend, selbst heute noch. In der Geschichte der mittelalterlichen Stadt dürfte es sie eigentlich gar nicht gegeben haben. Ist diese Geschichte, zumal in Deutschland, nicht eine unausgesetzte Freiheitsgeschichte gewesen? Eine konsequente Ausbildung der kommunalen Verfassung? Eine stete Entwicklung hin zur Beteiligung aller am Stadtregiment? Was haben Tyrannen und Despoten hier zu suchen? Sicher: Wir kennen die italienische Signorie; die kommunale Verfassung ist den inneren Gegensätzen nicht gewachsen, dauernde Kämpfe der Parteien sind die Folge, der Ruf nach dem starken Mann wird laut. Am Ende eine Stadt und ihr Herr, und alles war ihm untertan. Das alles gab es so scheinbar nur in Italien. Und doch: Es gab solche Herren auch in Deutschland. Erzählen von der Stadt bedeutet auch von dieser Geschichte zu erzählen. Freiheit und Tyrannei, auch im nordalpinen Mittelalter lagen diese Dinge immer nahe beieinander.
[ Menü ]
|90| Der schützende Ring – Die Mauern einer mittelalterlichen Stadt
D ie Stadt im Mittelalter war eine ständige Baustelle, nicht anders als viele heutige Städte auch, in denen man betäubt vom Lärm der Hämmer und Maschinen zwischen Absperrungen und Bretterwänden hindurchsteigen muss, um endlich sein Ziel zu erreichen. Gebaut wurde und wird immer, auch im Mittelalter. Überall hörte man die Geräusche der Hämmer, des Klopfens auf Holz und – zunehmend auch – auf Stein, die kreischenden Feilen.
Unfälle beim Bauen in der Stadt
Immer wieder passierten beim Bauen in der Stadt auch Unfälle, vor allem bei den großen, massiven Bauten. 1052 stürzte in der Stadt Konstanz am Bodensee das Münster ein. Ein Schock nicht nur für den Bischof, sondern für die Bewohner der Stadt insgesamt, war es doch jenes Gebäude, das für die Bischofsstadt den ideellen und geistlichen Mittelpunkt bedeutete. Ganz und gar war das städtische Leben der Bodenseestadt durch das Bistum geprägt, fast alle Bürger fühlten sich daran irgendwie beteiligt. Die Bischofskirche, der Dom, er war ihr Anker im Leben, ein Ort, der allen immer vor Augen stand. Der Bau war noch nicht alt. Um die Jahrtausendwende hatte der Konstanzer Bischof Lambert (995–1018) einen Neubau gewagt. Lambert ließ die alte Bischofskirche in Teilen abbrechen und in erweiterter Form wiederaufbauen. Noch kein gotischer Dom, der himmelhoch strebte, sondern ein massiver, erdverbundener romanischer Klotz, bei dem am |91| Langhaus Querflügel angefügt wurden. Dieser Neubau lag nun in Trümmern – kein gutes Omen für die Stadt und ihre Bewohner. Sogleich ging der damalige Konstanzer Bischof Rumold an den Wiederaufbau. Die Weihe des Altars im südlichen Querschiff des Münsters 1065 hat er noch erlebt, die Vollendung des Wiederaufbaus indessen nicht mehr.
Auch die Bauherren der Stadtmauern wussten wohl nicht immer, was sie taten – oder sie bauten nicht
Weitere Kostenlose Bücher