Stadtluft Macht Frei
vor allem die folgende Geschichte, die Deichslers Chronik überliefert. Um 1490 trieb ein Kirchendieb, ein Mann namens Jörg Mair, in Nürnberg sein Unwesen. Bereits in verschiedenen Kirchen der Stadt hatte er wertvolles Gerät entwendet und es anschließend, um zu Geld zu kommen, verkauft.
Eines Tages, so erzählt Deichsler, hatte sich Mair in der Frauenkirche am Markt einschließen lassen, um hier abermals auf Beutefang zu gehen. Doch völlig unverhofft, zum Anzünden der Kerzen, war der Küster in die Kirche gekommen. Er wurde auf den Eindringling, der sich hinter dem Altar versteckt hatte, aufmerksam: „Was tust du da?“ – „Ich habe geschlafen; als ich erwachte, bin ich aus der Kirche nicht wieder hinausgekommen.“ – „Du lügst! Du bist ein Dieb. Du willst stehlen!“ Der Kirchendiener rief nach seinem Knecht. Mair rannte zur Tür, doch vergebens; der Küster hatte sie vorsorglich hinter sich verschlossen. Daraufhin kletterte Mair zu einem der Fenster hinauf, riss |134| es auf und wollte hinausspringen. Unter dem Geschrei des Küsters wurden die Anwohner aufmerksam. „Bleib in der Kirche drin, sonst werfe ich dir einen Stein an den Kopf!“, brüllte ihn der Schmid Holper, der den Lärm bemerkt hatte, an. Mair versuchte aus einem anderen Fenster der Kirche zu entkommen. Doch Holper, um die Kirche herumrennend, war ihm gefolgt. Die Szene wiederholte sich: Mair im Fenster, bereit zum Sprung nach draußen, Holper drohend. Mair brach ein drittes Fenster auf.
Die Nürnberger Lochgefängnisse
In den Kellergewölben des Nürnberger Rathauses befinden sich die sogenannten Lochgefängnisse der Stadt. Sie sind im 14. Jahrhundert errichtet worden. Sie waren keine Haftanstalten im heutigen Sinne, sondern dienten als eine Art Untersuchungsgefängnis sowie als Verwahrungsort der Häftlinge bis zur Urteilsvollstreckung. Die Lochgefängnisse bestehen aus zwölf kleineren Zellen sowie einer größeren, der Folterkammer. Eindrucksvoll vermittelt gerade diese noch heute die Schrecken mittelalterlichen Rechtslebens. Die Lochgefängnisse können im Rahmen einer Rathausführung besichtigt werden, doch eine offizielle Broschüre der Stadt Nürnberg rät vom Besuch durch Kinder unter zehn Jahren ab!
Inzwischen war die ganze Stadt zusammengelaufen. Im allgemeinen Chaos konnte Mair zunächst entkommen. Er flüchtete sich auf das Dach eines Hauses, aber von hier ging es nicht weiter. Er saß fest – Aug in Aug sah er sich seinen Verfolgern gegenüber. Er oben auf dem Dach, diese unten. Eine Lage ohne Ausweg. Nach drei Stunden gab Mair auf. Er wurde ins Lochgefängnis geworfen; man verhörte ihn. Mair behauptete, „geweiht“, also ein Geistlicher zu sein. Man übergab ihn zur Aburteilung dem Bischof von Bamberg, der für kirchliche Belange in der Stadt formalrechtlich zuständig war. Der urteilte ihn ab und schickte ihn zur Vollstreckung des Spruches nach Nürnberg zurück. Es gab keine Gnade. Mair wurde gehängt. 3 Er starb auf dem Richtplatz draußen vor der Stadt. Geschichten wie diese, unter anderem, hat Deichsler für uns aufbewahrt.
„Die Chronik von der heiligen Stadt Köln”
Und die Stadtgeschichtsschreibung in Köln, unserer „Leitstadt“? Bedeutende Werke der Geschichtsschreibung, die zwar noch keine städtische Geschichtsschreibung waren, aber doch auch „irgendwie“ mit der Stadt und ihren Schicksalen zu tun hatten, waren bereits im frühen und hohen Mittelalter entweder in der Stadt selbst oder in den Klöstern im Umland entstanden, so etwa die Lebensbeschreibung des Kölner Erzbischofs Brun im 10. oder die Kölner Königschronik im 12. und 13. Jahrhundert. Daneben hat es im Köln des 13. Jahrhunderts mit der Reimchronik des Kölner Stadtschreibers Gottfried Hagen schon sehr früh eine anspruchsvolle Form der Geschichtsschreibung |135| gegeben, die durchaus als „städtisch“ bezeichnet werden kann. In seinem knapp 6300 Verse umfassenden Werk schildert Hagen die Auseinandersetzungen zwischen der Kölner Bürgerschaft und den erzbischöflichen Stadtherrn Konrad von Hochstaden und Engelbert von Falkenburg. Hagen war sozusagen verliebt in die Kölner Freiheit. Sie bestand für ihn nicht aus den Urkunden und Privilegien, welche den Städtern im Laufe der Zeit von den Mächtigen verliehen worden sind, sondern von Anfang an. Sie war hier schon immer da, war am Ort ein gleichsam natürliches Gesetz.
Um 1470 schließlich verfasste ein Mann namens Heinrich van Beeck die
Agrippina
, eine Geschichte der Stadt
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