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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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Kultur der Differenz, das Nebeneinanderher von Unterschiedlichem, kann Menschen dazu bringen, mit Komplexität umzugehen und aus ihr zu lernen. Das gelingt nicht jedem. Über den Rückzug ins Private, ins eigene Heim, schreibt Sennett, wir glaubten, wenn wir »vor der geballten Macht in der Welt Zuflucht suchen, auch die Chance zu haben, mehr über uns selbst herauszufinden«. An so einem Zufluchtsort werde sich uns unser wahres, wirkliches Selbst offenbaren, so hoffe der moderne Mensch ebenso wie der mittelalterliche. Aber solche Erwartungen, fährt Sennett fort, »stellten viel zu hohe Ansprüche an die Zufluchtsstätte«. Das gilt auch für die Sehnsucht nach der Wohnstatt auf dem Land.
    Wir haben Mühe, so Sennett, »die Erfahrung des Unterschieds als positiven Wert zu begreifen«. Der Mensch in der Großstadt, unsere Gesellschaft im Ganzen ist in ihren ökonomischen, politischen und erotischen Beziehungen »außerordentlich vielseitigen und komplexen Reizen ausgesetzt«. Kulturell auf Einheit und Innerlichkeit getrimmt, werde es »schwierig, mit den Tatsachen der Vielfalt zurechtzukommen«. Die Vorstellung, einen Abend in einem Gärtchen zu zweit zu verbringen, ein paar romantisch-ruhige Stunden, das mag attraktiver klingen als ein Abend in der Stadt, an einem Kneipentisch im Freien, an einer belebten Straße: Penner, Bürger, Künstler, alle schlurfen vorbei, hasten, rennen, schlendern am Tisch vorüber, das ganze menschliche Panoptikum. Nicht für jeden Abend, nichts für jeden, big cities are not for sissies . Große Städte muss man aushalten. Gut, wer die Gabe entwickelt hat, sich in der Anonymität geborgen zu fühlen.
    Georg Simmel, der Begründer der Stadtsoziologie, erkannte schon 1903 in seinem Aufsatz »Die Großstädte und das Geistesleben«, dass die Lebenssphäre der Kleinstädte in sich selbst beschlossen ist. Dörfer und Kleinstädte sind sich selbst Welt genug, schotten sich womöglich gegen Einflüsse von außen ab. Wohingegen Großstädte Teil der Welt sind, deren »Innenleben sich in Wellenzügen über einen weiten nationalen oder internationalen Bezirk erstreckt«, so Simmel. Weltstädte saugen die Weltströmungen in sich auf und geben alles wieder weiter.
    Wir sind die Stadt, wir sind das Volk
    London erreichte – nach dem historischen Rom – als erste europäische Stadt 1801 die Millionengrenze, fünf Jahrzehnte später waren es zwei Millionen und nach weiteren fünfzig Jahren 4,5 Millionen. Im selben Zeitraum vervierfachte sich die Einwohnerzahl von Paris und noch schneller die von Berlin (um 1910 rund zwei Millionen).
    In den Städten gärte es. Das gefiel den Herrschern nicht. Aber es nützte ihnen nichts. Laut Hans-Werner Hahn, Neuzeit-Historiker an der Universität Jena, waren die Städte im deutschen Vormärz die wichtigste Machtbasis der bürgerlich-liberalen Oppositionsbewegung gegen den Obrigkeitsstaat, sie fungierten als Kommunikationszentren: »Die Städte bildeten den eigentlichen Ausgangspunkt der Revolution von 1848/49 und prägten zugleich nachhaltig ihren Verlauf.« Der polnische Novemberaufstand von 1830 begann in Warschau, die Französische Revolution in Paris, die russische Revolution von 1905 in St.Petersburg mit dem friedlichen Aufmarsch von 150000 Arbeitern. Hundert Jahre später, am 25. Januar 2011, begannen in den großen Städten Ägyptens die Demonstrationen, die zum Sturz Mubaraks führten. Und die 68er formierten sich in Frankfurt am Main und in Berlin zur Studentenbewegung. Die Piratenpartei, die jüngste politische Welle, startete ebenfalls in Berlin.
    Last und Lust der Freiheit
    Nur die Stadt bot und bietet die Chance, zum geschichtslosen Individuum zu werden. Prozess der Natalität nennt Hannah Arendt dies, die Möglichkeit des Menschen, sich selbst neu zu schaffen. Der Mensch auf dem Dorf bleibt für immer der Sohn des jähzornigen Bauern, der Neffe des Sturkopfs, der Enkel des bekannten Trinkers. In der Stadt kann er sich davon lösen. In Paris erst konnte Cézanne, der Bankierssohn aus der Kleinstadt, mit dem Malen anfangen. In Wien begann Egon Schiele, geboren in der niederösterreichischen Provinz, als Sechzehnjähriger mit dem Malen.
    Was Wien die Secession war, gab es ähnlich in München und in Berlin: Abspaltungen junger Künstler, die sich dem gängigen Kunstbetrieb nicht zugehörig fühlten, die neue Wege gehen wollten. In der Stadt ist das nicht nur dem Künstler möglich. Die Großstadt überlässt es dem Einzelnen, zu welcher Gemeinschaft er

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