Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
das Grundrauschen der Städte. Von Jerusalem heißt es schon im Alten Testament, dort lebten »Parther und Meder und Elamiter und die (-jenigen, die) wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kapadozien, Pontus und der Provinz Asien (…). Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber«.
In der Stadt leben Menschen verschiedenster Herkunft und eben nicht, wie in den Dörfern, nur Menschen von gleichem Schrot und Korn. Der US -amerikanische Soziologe Richard Sennett hat sich in Civitas kluge Gedanken gemacht zu »Großstadt und die Kultur des Unterschieds«, so der Titel seines Buchs von 1990. Wer in der Stadt war, so Sennett, konnte Zeuge werden sowohl von Unheil als auch von Vielfalt. Dies galt bei den alten Griechen als wertvoll, da »das Individuum, indem es sich der Welt aussetzte, nach und nach seine Orientierung fand und lernte, ein Gleichgewicht zu wahren«. Indem sich der Mensch anderen preisgab, könnte er lernen zu beurteilen, »was wichtig ist und was nicht. Wir sollten Unterschiede auf den Straßen oder bei anderen Menschen weder als Bedrohung noch als sentimentale Verlockung, sondern als notwendige Visionen verstehen«. Welche Vision aber tut sich auf, wenn tagein, tagaus nur immer derselbe Nachbar zu sehen ist?
Woher kommt dann der schlechte Ruf der Großstädte? Dieser ist historisch begründet und bedarf einer Neusicht. Die Bevölkerungsexplosion vor gut hundert Jahren, die Wien überfüllte und Berlin jene düsteren Bilder brachte, die Zille satirisch zeichnete und die die Expressionisten in Gedichte von Horrorszenarien pressten, das schilderte die Realität. Die Städte, die Wohnungen waren zu voll. In den überbevölkerten Industriestädten herrschte das pure Elend, es wurde zu wenig und nicht hoch genug gebaut, die Menschenmassen zu fassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die »Unwirtlichkeit der Städte«, wie der Arzt und Architekturkritiker Alexander Mitscherlich konstatierte. Durch die räumliche Entmischung von Arbeiten, Wohnen und Freizeit wurden reine, bald öde Wohnquartiere geschaffen. Doch wie der 1895 geborene US-amerikanische Architekturkritiker, Philosoph und Soziologe Lewis Mumford sagte: »Die Stadt ist die kostbarste Erfindung der Zivilisation, die als Vermittlerin von Kultur nur hinter der Sprache zurücksteht.« Vor allem aber: Es gibt keinen anderen Weg. Die Menschheit wohnt schon jetzt großteils in den Städten. Asiatische Megacitys machen vor, wie das gehen kann. Historisierende Kinkerlitzchen wie einheitliche Traufhöhe kann sich dort keiner leisten. Der Turmbau zu Babel geht weiter, aber kein Gott straft mehr, warum auch.
Wie sollen Städte aussehen, welche Architektur ist der modernen Metropole angemessen? Auch dieser Diskurs ist endlos, aber notwendig. Der Wirtschaftswissenschaftler Edward Glaeser sieht die Rettung der Städte in den Wolkenkratzern, in solchen Gebäuden wie dem Sapphire, 2004 errichtet, das höchste Haus der Türkei. Es steht in Istanbul, ist das umweltfreundlichste gewerblich genutzte Gebäude in der Türkei. Seine Doppelfassadenkonstruktion soll rund ein Drittel Energie einsparen. Glaeser nennt andere Beispiele, aber seine Theorie stimmt auch für Istanbul mit seinen vermutlich achtzehn Millionen Einwohnern: Zwar ziehen in solchen Bauten nicht die ärmeren Schichten ein, hier entstehen nur Luxuswohnungen. Aber jeder Wohnraum, der geschaffen wird, trägt dazu bei, dass in Städten mit hoher Nachfrage der Druck auf den Markt nachlässt.
Alte, niedrige Häuser unter Denkmalschutz zu stellen, anstatt Neues, Höheres zu bauen, trage mit Sicherheit zur Verteuerung eines Viertels bei, so Glaeser. Wer hingegen in bereits bebautem Gebiet Häuser abreiße und neue baue, muss keine Grünflächen zerstören. Am Beispiel Paris zeigt er auf, dass die heutige Innenstadt der französischen Hauptstadt den Zuzug Nichtvermögender so entschieden banne, als hätte sie ein Sperrtor errichtet. Weil in Paris im Zentrum Altes nicht abgerissen wird und nur der Istzustand gepflegt wird. Ganz anders als zu Zeiten des rigorosen Stadtplaners Georges-Eugène Haussmann, der Mitte des 19. Jahrhunderts die halbe Innenstadt niederwalzen ließ, um ein modernes Paris entstehen zu lassen. Bis heute sehen die inneren Arrondissements aus wie damals, nur eben nicht mehr modern.
Aus Komplexität lernen
Und zwischen diesen vielen und hohen Häusern wuselt es, die ganze bunte Menschenwelt wohnt in der Stadt. Ein Gewinn! Diese
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