Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
dritten oder gar fünften Stock und treiben in ihrer Freizeit mehr Sport in diverseren Sportarten – vom Beachvolleyball übers Hallenklettern bis zum Inlineskaten; die Infrastruktur ist ja da. Außerdem radeln sie häufiger zur Arbeit oder rennen eilig zur Bushaltestelle, statt Auto zu fahren. Dorfbewohner hingegen steigen kaum Treppen, ihr Sportangebot geht über Joggen und Fußball kaum hinaus. Vor allem jedoch bewegen sie sich vorzugsweise sitzend von A nach B, und zwar egal, ob zum Bäcker oder zum Arbeitsplatz: nämlich im Auto.
Und was ist mit den vielen Abgasen, die man als städtischer Radfahrer und Fußgänger einatmet? Nun, die sind ungesund, ganz klar. Aber: Autofahrer kriegen in ihren geschlossenen Blechkarossen noch viel mehr davon ab, zumindest in der Momentaufnahme – darin stimmen Studien aus verschiedenen Ländern überein. Der Grund: In der Außenluft werden Abgase besser verdünnt, während sie sich im Innern des Autos über die Zuluft sowie aus dem eigenen Motor und Tank intensiv anreichern.
Auf Dauer betrachtet, ist der Gesundheitsvergleich zwischen Radlern und Autofahrern aber komplizierter: Weil Radfahrer im Schnitt länger unterwegs sind und tiefer einatmen – sie bewegen sich schließlich und hocken nicht nur hinterm Lenkrad –, nehmen sie für dieselbe Strecke am Ende mehr Schadstoffe auf. Wissenschaftler der Universität Utrecht haben berechnet, dass diese Feinstaubbelastung das Leben eines Radfahrers, der täglich 7,5 Kilometer fährt, im Vergleich zu einem Autofahrer um 0,8 Tage verkürzt; ein Radler, der täglich 15 Kilometer fährt, lebt im Schnitt 40 Tage kürzer. Doch Achtung: Es gibt ein Happy End. Mehr als neutralisiert wird dieser Negativeffekt auf die Lebenszeitbilanz durch den positiven Effekt der Bewegung auf das Herz-Kreislaufsystem: Im Vergleich gewinnen Radfahrer mit einer 7,5-Kilometerstrecke drei Monate Lebenszeit dazu – dank ihrer fitteren Pumpe; 15-Kilometer-Pendler leben als Radfahrer sogar 14 Monate länger.
Und damit nicht genug: Städtische Radler leben auch entspannter und sind besser gelaunt als Suburbiapendler. Der britische Stressexperte David Lewis hat ermittelt, dass Pendler auf ihrem Weg zur Arbeit zum Teil größerem Stress ausgesetzt sind als Kampfjetpiloten. Hocken sie im Stau oder drücken sich in einem verspäteten Zug an andere Passagiere, treibt das Gefühl des Ausgeliefertseins ihren Blutdruck und ihren Herzschlag extrem hoch – höher als den der Vergleichsgruppe im Cockpit. Am Ziel angelangt, steigen sie mit roten Gesichtern, müden Augen und zerknitterten Anzügen aus, den Coffee to go in der Hand, hektisch und meist trotzdem zu spät für die Besprechung oder das gemeinsame Abendessen, alles kein Spaß.
»Je länger man zur Arbeit fährt, umso höher das Stresspotenzial«, bestätigen Ökonomen der Universität Zürich. Sie haben 4000 Arbeitnehmer befragt und ermittelt, dass Pendler deutlich unzufriedener sind als Nichtpendler. Ihre latente Gereiztheit verursacht Magen-Darm-Probleme, Kopf- und Rückenschmerzen oder Schlafstörungen, und zu allem Übel bleibt keine Zeit für Arztbesuche, Sport oder Entspannung. Auch das Beziehungs- und Familienleben leidet: Während die Partner oder Kinder am Feierabend und am Wochenende gern aktiv sind, sehnen sich die Kilometermillionäre nach nichts mehr als nach Ruhe. Da ist der Krach vorprogrammiert – und sorgt für noch mehr Stress.
Wie entspannt haben’s doch da die Großstadtkollegen! Sie fahren mit der U-Bahn oder mit dem Rad nach Hause, joggen eine Runde oder schieben ein paar Gewichte im Fitnessstudio, bringen in Ruhe die Kinder ins Bett oder gehen ins Kino – und können morgens auch noch länger ausschlafen.
Nicht zuletzt spricht die Unfallstatistik des ADAC gegen die Autopendelei der Landliebe-Fraktion: Tödliche Unfälle ereignen sich zu 60,9 Prozent auf Landstraßen. 2011 kamen zwischen Wald und Heide insgesamt 2441 Menschen ums Leben – mehr als doppelt so viel als in allen deutschen Städten zusammen. Zwar kracht es innerorts häufiger als außerorts, doch die Folgen sind weit weniger dramatisch.
Überraschung 2: Städter saufen weniger
Eine Erklärung für die Unfallhäufigkeit auf dem Land liegt nahe: zu tief ins Glas geguckt. Städter lassen sich nach ein paar Drinks zu viel ins Taxi fallen oder torkeln zu Fuß nach Hause. Dorfbewohner sind mit ein paar Promille zu viel aufgeschmissen. Keine Chance, das Auto stehen zu lassen und in öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen –
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