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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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führten die unterschiedlichen Essensgewohnheiten dazu, dass Städter seltener an Magenkarzinomen erkranken. In Deutschland hat das Robert-Koch-Institut durch regionale Vergleiche herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit, krankhaft fett zu werden – im Fachjargon »die Prävalenz für Adipositas« –, in großstädtischen Räumen geringer ist als in ländlichen und in wohlhabenden geringer als in ärmeren. Besonders hohes Risiko, sich ein krasses Übergewicht anzufuttern, haben arme und schlecht ausgebildete Menschen aus Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte – sprich: das ländliche Prekariat. In diesen von Gott und der Welt verlassenen Gegenden ist auch die Prävalenz für Diabetes am höchsten. Städter hingegen bleiben dank besserer Informations- und Ernährungsmöglichkeiten häufiger verschont.
    Überraschung 4: Großstädter sind keine Psychowracks
    Auch zum Thema seelische Gesundheit gibt es gute Nachrichten für Großstadtfreunde – und ernüchternde News für alle mit der Illusion, auf dem Land automatisch zu zenmäßiger Ausgeglichenheit zurückzufinden. Ganz allgemein sieht die Realität so aus: Auch auf dem Land haben die Leute stressige Jobs, komplizierte Liebesbeziehungen oder andere Sorgen, die ihnen die Stimmung kurz- bis langfristig verderben. Und wer weiß es nicht aus missglückten Fluchten: Man kann noch so weit verreisen, die inneren Probleme und Konflikte trägt man stets mit im Gepäck.
    Beginnen wir mit der systematischeren Psychoanalyse bei den Kleinsten. Zu deren vermeintlichem Wohl verlassen ja die meisten Familien die geliebte Stadt. Völlig umsonst! Das sagt niemand Geringeres als die Autoren des »Kinder- und Jugendsurveys« der Bundesregierung. Demnach fanden sie keine Indizien dafür, dass Stadtkinder psychisch anfälliger oder auffälliger sind als Landkinder. Explizit beim Krankheitsbild der »Hyperaktivität«, die Stadtkindern gern unterstellt wird – auch genannt Zappelphilippsyndrom oder Aufmerksamkeitsdefizitstörung ( ADHS ) –, konnten Mediziner des Robert-Koch-Instituts keinen signifikanten Unterschied zwischen den Wohnorten feststellen – wohl aber zwischen Kindern aus Familien mit sozial höherem Status und solchen mit sozial niedrigem Status.
    Erwachsene Großstadtbewohner leiden tatsächlich häufiger an psychischen Krankheiten als Landbewohner – der Unterschied der sogenannten »Prävalenz« beträgt aber nicht einmal zwanzig Prozent. Experten der Berliner Bundespsychotherapeutenkammer widersprechen daher vehement dem Vorurteil, wonach Städter per se eher zu Depressionen, Verfolgungswahn, Psychosen oder anderen seelisch-neurologischen Krankheiten neigen. Eine schlüssige Erklärung sei vielmehr, dass Dorfbewohnern in einer seelischen Krise oder schwerwiegenderen psychischen Problemen häufig nichts anderes übrig bleibt, als in die Städte zu flüchten. Weil sie im Dorf wenig Verständnis für ihren Zustand finden und/oder weil sie nicht adäquat versorgt werden. »Viertausend Psychotherapeuten fehlen in den ländlichen Gebieten«, kritisiert Kammerpräsident Rainer Richter. Fast fünf Monate muss ein Landbewohner auf einen Termin für ein therapeutisches Erstgespräch warten. »Das ist eine eklatante Unterversorgung.«
    In deutschen Großstädten erreicht die Therapeutendichte zwar (noch) nicht die Zustände von Woody Allens Manhattan , gleichwohl findet ein jeder bei Bedarf Hilfe nach seinem Gusto: Adressen von fähigen Verhaltens-, Gesprächs- oder Gestalttherapeuten sowie Psychiatern werden unter Freunden inzwischen fast ebenso selbstverständlich weitergereicht wie Adressen von Zahn- oder Kinderärzten. Die Wartezeiten der Praxen sind deutlich geringer als im Landesdurchschnitt, und in einer akuten Krise bieten spezielle »Krisenzentren« Zuflucht. Fast jedes Krankenhaus hat zudem eine psychiatrische Abteilung oder eine Ambulanz.
    Überhaupt ist es unter aufgeklärten Urbaniten nicht mehr tabu, sich über Traurigkeitsattacken oder Ängste auszutauschen, nach einem persönlichen Fiasko die Unterstützung einer Therapie zu suchen oder anderweitig »an sich zu arbeiten« – warum auch nicht? Und wer dies lieber mit Gleichgesinnten tut als mit Experten oder seinen Freunden, für den öffnen Selbsthilfegruppen wie beispielsweise die Anonymen Alkoholiker oder die Anonymen Messies ihren Stuhlkreis – und die Gefahr, dem anderen am nächsten Tag im Supermarkt oder in der Kneipe über den Weg zu laufen, ist äußerst gering. Falls es doch passiert,

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