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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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Internist bei uns in der Nähe ist im Urlaub, unser Hausarzt hat heute keine Sprechstunde, da können wir ja nur ins Albertinen kommen.« »Und was ist mit dem kleinen Krankenhaus Richtung Lübeck?«, wirft die Ärztin ein. »Da hätte Sie auch der Notarztwagen hingebracht.« Das Ehepaar schüttelt den Kopf. »Nee, nee, da wollen wir nicht mehr hin. Beim letzten Mal sprach der Assistenzarzt nicht mal richtig deutsch, und wer weiß, ob die alle notwendigen Geräte haben? Hier in Hamburg fühlen wir uns besser aufgehoben!«
    Die Ärztin seufzt. Sie weiß, dass viele ländliche Krankenhäuser aus Personalmangel gezwungen sind, zum Teil ausländische Ärzte ohne ausreichende Deutschkenntnisse einzustellen. »Die sind fachlich gut – aber man kann halt nicht mit ihnen quatschen, und das brauchen viele Patienten ja eh am dringendsten.« Und sie weiß auch, dass »die Kranken vom platten Land«, wie sie sagt, »wirklich ein Problem haben – im Gegensatz zu den Hamburgern, die theoretisch auch zu einem niedergelassenen Arzt gehen können statt in die Notaufnahme. Denn da gibt’s einfach keinen Arzt mehr, der sich kümmern könnte«.
    Die junge Assistenzärztin, die dem verunglückten Klettermax eine Tetanusspritze in den Oberarm drückt, sieht die Lage genauso: »Wir haben in vielen ländlichen Regionen ein krasses Versorgungsproblem.« Und sie gibt offen zu, dass sie und ihre Kollegen Teil des Problems sind. »Meine ganzen Studienfreunde arbeiten in Hamburg, keiner wollte nach außerhalb. Mich persönlich würden keine zehn Pferde aufs Land bringen. Was soll ich in einer Landarztpraxis oder in einem Kleinstadtkrankenhaus? Wenn ich mich schon krummarbeite, dann lieber in der Großstadt!«
    Die Szene könnte so oder so ähnlich in allen deutschen Großstadtkrankenhäusern spielen. Die Ärztinnen und Ärzte der Notfallambulanzen sind doppelt gefordert durch Patienten, die eigentlich anders beziehungsweise woanders versorgt werden sollten: zum einen von Patienten, die eigentlich kein Notfall sind, zum anderen von Patienten, die von außerhalb kommen; im Zweifelsfall auch von Patienten, die kein Notfall sind und dennoch extra aus der Pampa anreisen.
    Aus Patientenperspektive sieht die Sache freilich etwas anders aus: Eine Notfallambulanz in der Nähe zu wissen ist ungemein beruhigend – und bei einer plötzlichen Erkrankung oder Verletzung ein echter Segen. Bei einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall kann die Distanz zum Krankenhaus gar über Leben und Tod entscheiden. Die Gewissheit, im Notfall innerhalb von wenigen Minuten vom Rettungswagen abgeholt zu werden, ist für Großstadtbewohner total normal. Sie wissen gar nicht, was es heißt, nachts oder am Wochenende panisch die 112 rufen zu müssen, weil der Weg ins nächste Krankenhaus ein halbe Weltreise ist. Großstädter steigen ins Taxi oder lassen sich hinbringen. In der Notaufnahme sind die Türen immer offen, die Ärzte zur Stelle, die Labore besetzt: »Hier werden Sie geholfen« – auch wenn es manchmal gar nicht so dringend ist.
    Die medizinische Ungleichverteilung in Deutschland tut weh. Zwar praktizieren mit 320000 Ärzten derzeit so viele wie nie zuvor. Doch die meisten haben zur Landluft ein extrem distanziertes Verhältnis. In vielen ländlichen Regionen wie etwa dem Wendland, dem Teutoburger Wald oder der Schwäbischen Alb gleicht die ärztliche Versorgung der von Entwicklungsländern (s. Karte rechts). Laut Kassenärztlicher Vereinigung sind rund 3600 Landarztstellen vakant, die Praxistüren verrammelt, die Geräte abgeschaltet. Im Jahr 2020 werden es vermutlich doppelt so viele sein. Denn nur 16 Prozent der derzeitigen Medizinstudentinnen und -studenten erwägen, sich in der Provinz niederzulassen und eine Karriere als Landarzt zu beginnen. Selbst das Versorgungsstrukturgesetz, das die schwarz-gelbe Regierung 2012 verabschiedet hat, um junge Mediziner durch das Versprechen finanzieller Goodies aufs Land zu locken, kann da wenig richten.



In der Stadt hingegen: luxuriöse Zustände (sofern man im Krankheitsfall das Wörtchen »Luxus« verwenden darf). Freie Arztwahl dank Ärzteüberhang, von der Allergologie bis zur Zahlheilkunde, vom Allroundhausarzt bis zur Superexpertin, vom MRT bis zum CT . Pflegedienste und Apotheken, Chiropraktiker und Masseure, Logopäden und Kraniosakralheiler, Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen – sie alle sind, wenn nicht zu Fuß, in jedem Fall per U-Bahn erreichbar. Und weil wie in jeder Branche auch im

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