Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
stammen von den Österreichern, Gulasch kommt aus Ungarn sowie Tschechien, Schokolade und Käse aus der Schweiz, Flammkuchen und Quiches aus Frankreich.
Weil wir aber dachten, alle, die wir geholt hatten, würden wieder abreisen – wie Besuch von der armen Verwandtschaft, die uns mal kurz beim Hausbau geholfen hat, dafür ein Bündel Geld in die Hand gedrückt bekommt und die wir dann wieder in ihr altes Leben zurückschicken können –, weil von diesen falschen Vorstellungen ausgegangen wurde, kam es zu Problemen. Wir haben die schwer Arbeitenden anfangs in Massenunterkünfte gesteckt, die die italienischen Gastarbeiter gruseligerweise »i Lager« nannten. Eine Willkommenskultur kann man das nicht nennen.
Doug Saunders, der »Ankunftsstädte« weltweit bereist hat, stellt Deutschland ein katastrophales Zeugnis aus. Deutschland garantierte durch den »völligen Verzicht auf eine Einwanderungspolitik praktisch, dass alle seine Einwanderer Migranten« bleiben würden, so der Kanadier. Sie wurden nicht ermuntert, sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern, was auch bedeutet hätte, ihnen zu helfen, den Übergang von einem dörflichen in ein städtisches Leben zu erleichtern. Da es ihnen jahrzehntelang nicht erlaubt war, deutsche Staatsbürger zu werden, würden Türken auch »noch in der dritten Generation als Besucher auf Zeit behandelt und sehen sich selbst genauso«. Keine der beteiligten Gruppen bemühe sich deshalb um Verbesserung der Lebensumstände in der Ankunftsstadt. In Frankreich, so Saunders, sprechen schon in der zweiten Generation fast alle Türken fließend französisch, britische Türken schlagen bald nach der Ankunft die gleichen Karrierewege ein wie einheimische Briten. Saunders’ vernichtendes Fazit: »Die deutschen Erfahrungen in der Einwanderungsfrage sind eine anregende Lehre für jene Länder, die der Ansicht sind, sie könnten ihren Bedarf an ungelernten Arbeitskräften mit zeitlich befristeten Anwerbeprogrammen decken.«
Diese Fehler müssen wir bis heute ausbaden. Der gesellschaftliche Zusammenhalt, der sich in Dörfern wohl oder übel, im Guten wie im Schlechten, von allein ergibt, muss in Städten immer wieder neu definiert und erarbeitet werden. Städte funktionieren nicht per se, sondern müssen klug gemanagt werden. Integration meint dabei nicht nur, Menschen mit Migrationshintergrund aufzunehmen, sondern –umfassender – auch die Armen und die Schwachen, Arbeitslose und Alleinerziehende, Rüpel und Rowdys, die Leisen und die Lauten – Städte müssen sich bemühen, alle zu integrieren oder zumindest ein friedliches und manchmal fröhliches Nebeneinander zu ermöglichen. Da geht es um Bildung und Arbeitsplätze, gegen Verwahrlosung von Vierteln und deren Bewohner, es geht darum, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit wachsen zu lassen. In der Stadt bedeutet das nicht, im Gegensatz zum Dorf, alle über einen Kamm zu scheren und jedem dreinzureden, sondern die Diversität als Gewinn zu sehen. Monokulturelle, monoethnische Städte gibt es nicht. Höchstens in Teheran oder Pjöngjang leben nur die, die immer schon dort gelebt haben.
Das wahrlich Großartige an Städten ist nun, dass sie zumeist funktionieren. Natürlich kommt es zu Problemen, wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben, haben Städte schlechtere Kriminalitätsstatistiken. Das geradezu Überraschende ist dennoch, dass sich all diese Fremden, die hier zusammengeworfen werden, nicht tagtäglich die Köpfe einschlagen, dass Städte eben nicht jede Nacht von Vandalen verwüstet werden. Stadt ist »die Form, in der einander Unbekannte miteinander leben«. Auf diesen Nenner bringt Dirk Baecker, Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, das Spezifische der Stadt. Und zwar im Gegensatz zu urzeitlichen Stammesgesellschaften, in denen Unbekannte zur Vorsicht erst einmal eins übergezogen bekamen. In seiner Schrift »Stadtluft macht frei: Die Stadt in den Medienepochen der Gesellschaft« erklärt der Kulturtheoretiker, die Stadt an sich lebe davon, »Problem und Lösung des Problems« zu sein. Weil Städte eine »Nachbarschaft des Miteinanders, Gegeneinanders, Nebeneinanders und Übereinanders zugleich« bilden. Das Bunte, Zusammengewürfelte ist spezifisch für die Stadt.
Dass das auch funktioniert, wenn der fremde Nachbar aus einem fremden Land kommt, bewiesen deutsche Städte schon vor Jahrhunderten. Die von Migranten bewohnte Stadt ist ein Erfolgsmodell,
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