Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
und Gesandte des Osmanischen Reichs; der erste türkische Friedhof wurde bereits 1798 ausgewiesen. Von den dreieinhalb Millionen Einwohnern des heutigen Berlin haben 170000 einen türkischen Migrationshintergrund – und von diesen sind 60000 deutsche Staatsbürger. Osteuropa in Berlin begann mit böhmischen Dörfern – da wohnen tschechische Glaubensflüchtlinge, die im 18. Jahrhundert als Protestanten in Berlin Zuflucht suchten. Berlins rund 200000 Russen kaufen heute in russischen Supermärkten ein, der Weststadtteil Charlottenburg wird von manchen Charlottograd genannt, und wer russisch schwitzen will, findet eine Banja; die ist nicht so heiß wie die finnische Sauna, dafür aber feuchter. Und auch Asien ist hier: In Berlin haben wir ja alles doppelt, nicht nur den Zoo, bei uns leben auch Ost- und Westvietnamesen, genauer gesagt, Nord- und Südvietnamesen. Die aus dem Süden flohen als Boatpeople, manche kamen bis nach Westberlin. Die aus dem kommunistischen Norden – oder eben dann aus dem vereinigten Vietnam – waren die Gastarbeiter der DDR . Heute betreiben die einstigen Vertragsarbeiter oder deren Kinder Blumen- und Lebensmittelläden, sie sind die Türken Ostberlins.
Warum Migranten nicht aufs Land ziehen
Während in der Stadt Fremde ins große Ganze einfließen, bunte Tupfer im Gewoge der Massen sind, fallen sie in kleinen Gemeinden unweigerlich stärker auf. Sicher ist es keine gute Idee, ausgerechnet in Dörfern Asylbewerberheime errichten zu wollen. So etwa Anfang 2012 im 360 Einwohner zählenden Altglashütten im Badischen, das 50 Asylbewerber aufnehmen sollte. Das ist schwierig für kleine Gemeinden und für die Antragsteller auch: nur Wald und Flur und kaum öffentlicher Raum, und das bei viereinhalb Quadratmeter zugesicherter Wohnfläche. Was soll der fremde Mensch ohne Arbeit denn dort tun? Wenn in Großstadtparks Männer den lieben langen Tag auf Parkbänken sitzen, weil sie nicht arbeiten dürfen und es in den engen vier Wänden nicht aushalten, und sich in der Sprache ihrer fernen Heimat unterhalten, dann gehört das einfach zum Stadtbild. Aber sitzen die Männer unter der Dorflinde, wo sonst immer nur die sitzen, die da immer sitzen, kann es zu Spannungen kommen, für alle Beteiligten.
Zuwanderer zieht es ohnehin in die Städte. Mehr als die Hälfte der Migranten landet in westdeutschen Großstädten. Dort haben sie bessere Chancen, Arbeit zu finden. Und dort lebt meistens auch schon jemand, den sie kennen oder der gar aus demselben Dorf stammt. Diese sogenannte Kettenwanderung führt dazu, dass eben in Hamburg mehr Portugiesen leben als woanders und Polen bis heute ins Ruhrgebiet reisen, wenn sie Arbeit suchen. Stadtviertel mit hohem Ausländeranteil oder gar die Slums südamerikanischer Großstädte mögen von der Warte der Villenbesitzer aus wie eine Ballung von Armut wirken, doch sie sind das Gegenteil. Es sind »die Gebiete, in denen sich der Abschied von der Armut vollzieht«, wie der Kanadier Saunders in seinem Buch über diese »Ankunftsstädte« schreibt. Und wie auch Harvard-Professor Glaeser weiß: »Städte machen die Menschen nicht arm. Städte ziehen arme Menschen an.« Denn nur hier haben sie die Chance, was Besseres als zu Hause zu finden.
Noch aus einem anderen Grund tun Migranten in Deutschland gut daran, sich große, bereits bunte Orte auszusuchen. Knapp sieben Millionen Ausländer sind in Deutschland heimisch, ein Bevölkerungsanteil von etwa 8,2 Prozent. In Hamburg leben 13,2 Prozent Migranten, in Stuttgart und Frankfurt sind es je knapp 40 Prozent – in Thüringen hingegen gerade mal 1,5 Prozent (und in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt auch nur gut drei Prozent). Doch vor allem im ländlichen Raum finden Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus ihren Nährboden. Dort, wo das Fremde gar nicht oder kaum anzutreffen ist, ist die Angst davor am größten. Nun sind menschliche Eigenschaften wie Güte, Hilfsbereitschaft und Herzenswärme in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen zu Hause. Und natürlich sind Dorfbewohner nicht per se rassistisch. Doch wo der tägliche Kontakt mit dem Fremden, dem anderen, dem Ungewohnten und Nichtvertrauten fehlt, scheinen sich Widerstände stärker zu manifestieren – und Populisten leichtes Spiel zu haben.
Wie das bayerische PECO -Institut für nachhaltige Regionalentwicklung festgestellt hat, ist der Konformitätsdruck im ländlichen Raum deutlich höher. Da fällt es schwerer, gegen fremdenfeindliches Verhalten
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