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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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Stellung zu beziehen. Zu ähnlichen Schlüssen kommt auch der Bund der Deutschen Landjugend – der nicht im Generalverdacht steht, aus der Antifa-Ecke heraus zu argumentieren – in seinem Papier »Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen« von 2008. Thomas Böse-Bloching, stellvertretender Bundesvorsitzender, weiß um die Gefahr: »Der Bund der Deutschen Landjugend ist entschlossen zu handeln, denn wir dürfen den Rechtsextremen nicht das Terrain überlassen.«
    Aufgrund der höheren Sozialkontrolle tendieren kleinere Orte zur Wunschvorstellung, die Dorfgemeinschaft möglichst homogen zu belassen und unkonventionelle Lebensstile abzuwehren. Da haben es rechte Parteien mit populistischen Schlagworten offensichtlich leicht; ihre Erfolge verbuchen sie vorwiegend in den ländlichen Räumen. Die Anfälligkeit der Landbevölkerung für rechtsextreme Gruppierungen sei seit den 1920er-Jahren bekannt, wie die Landjugend in ihrem Papier zusammenfasst. Heute können »vor allem die NPD – und in Brandenburg auch die DVU – im kleinstädtisch-ländlichen Raum außergewöhnlich gute Kommunalwahlergebnisse erzielen«. Diese Wahlerfolge resultierten daraus, dass rechte Ideologien an Fragmente traditioneller Werte anknüpfen, die in ländlich strukturierten Sozialräumen stärker präsent sind: »Konventionalismus, Autoritarismus, Homophobie bis hin zum Rassismus«.
    Wenn in ländlichen Gemeinden rechte Jugendkultur dominiert, ist das sofort sichtbar. Während 15 oder 20 Kerle in Springerstiefeln in den Städten einen »verlorenen Haufen darstellen, kann in Dörfern mit einer Gruppe dieser Größenordnung Macht demonstriert werden«, so das Papier der Landjugend. »Die Besetzung von Jugendräumen und öffentlichen Plätzen, der Genuss von Machtgefühlen gegenüber anderen Jugendlichen, die Orte meiden und Umwege machen, aber auch gegenüber verschreckten Erwachsenen, sind auf dem Lande eher möglich als in Städten.« Nichtpräsenz von Polizei in den Nachtstunden lasse Omnipotenzgefühle weiter anschwellen. Der Einzelne spürt in ländlichen Gemeinden einen höheren Konformitätsdruck. Wenn scheinbar alle marschieren, marschiert man mit. Der Einzelne wird im Dorf schlicht viel stärker wahrgenommen als in der Stadt, wo »mit der geringeren Sichtbarkeit des Individuums diesem weniger kollektive Aufmerksamkeit zuteilwird, (…) daher eher die Möglichkeit besteht, sozialem Druck auszuweichen«. Wer sich aber auf dem Land abweichend äußert oder verhält, bezahlt das »mit der Gefahr der Ablehnung durch die soziale Gruppe«, sagt die Landjugend, die es wissen muss. Fatal, wenn es im Dorf, anders als in der Stadt, kaum andere Gruppen zur Auswahl gibt.
    Schon eigenartig, dass gerade auf dem Land, im gebauten Idyll, nach dem Städter sich sehnen und auf der Suche danach in Landliebe- und Landlust-Zeitschriften blättern wie in Reisekatalogen, dass gerade dort, zwischen muhenden Kühen und grasenden Schafen so wenig Gelassenheit wohnt. »Geben Sie Gedankenfreiheit«, mag man den versammelten Dorfbewohnern zurufen.
    Erst mit der Komplexität der Gesellschaft steigt die Möglichkeit, Xenophobie zu verringern, so der französische Soziologe Pierre Bourdieu. Die Dörfler mögen sich doch bitte ein Beispiel nehmen am Alten Fritz. Der protestantische Herrscher schenkte seinen katholischen Landeskindern in Berlin ein Grundstück für eine Kirche, gleich beim Alten Schloss. Denn »viele Wege führen ins Himmelreich«. Auf die Frage, ob ein Katholik Bürger einer preußischen Stadt werden dürfe, schrieb er 1740 in einem Brief: »Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind; und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.« Die Religionen sollten alle toleriert werden, befand der Berliner Regent, und: »Hier muss jeder nach seiner Fa Ç on selig werden.«
    Die Realität sieht leider heute in manchen Landstrichen, auch des ehemaligen Preußens, anders aus. »Ausländerfeindlichkeit ist Mainstream«, zu diesem Fazit kam Regisseur David Wnendt, der im ländlichen Raum Ostdeutschlands für seinen Kinofilm »Kriegerin« recherchierte. Wnendts Kriegerin ist die zwanzigjährige Marisa, die zu einer rechtsradikalen Jugendclique in einer ostdeutschen Kleinstadt gehört. Das Leben der Gruppe von Neonazis ist geprägt von Hass auf Migranten, Juden, die Polizei und jeden, der nicht in ihr Weltbild passt. Gedreht wurde der Film im

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