Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Tüte geraucht.«
Einwanderung
Ende 2011 lebten in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 6,93 Millionen Ausländer, also Menschen ohne deutschen Pass. Etwa jeder fünfte von ihnen ist in der Bundesrepublik geboren. Die Zuwanderer leben im Durchschnitt seit fast 19 Jahren in Deutschland. Insgesamt haben rund 16 Millionen Menschen in der BRD einen Migrationshintergrund, das heißt sie stammen ganz oder teilweise von Einwanderern ab.
Fast jeder vierte Ausländer in Deutschland kommt aus der Türkei. Zugleich sinkt die Zahl der Türken in Deutschland seit dem Höchststand von vor zwölf Jahren ständig – von damals 2,1 Millionen auf inzwischen 1,6 Millionen. Der Grund hierfür: Einbürgerungen, Sterbefälle, Rückkehrer.
2 00 9 wanderten 606000 Menschen mit ausländischem Pass nach Deutschland ein und 579000 ohne deutschen Pass wanderten aus. Das entspricht einem Überhang von etwa 27000 Zuwanderungen.
In den letzten Jahren ist die Einwanderung in Deutschland zurückgegangen. 2011 sind 958000 Menschen nach Deutschland gezogen. Das entspricht laut Statistischem Bundesamt einem Anstieg von 20 Prozent gegenüber 2010. Demgegenüber stehen 679000 Personen, die aus Deutschland fortzogen.
Nach Marxloh traut sich die Polizei nur noch in Hundertschaften, trötete Tatort -Kommissar Schimanski mal. Doch die schlimmsten Zeiten sind vorbei, die Zahl der Straftaten in Duisburg-Marxloh ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, wie Polizeisprecher Ramon van der Maat 2010 erklärte. 2009 wurden 2560 Straftaten aufgenommen, der niedrigste Stand seit fünf Jahren. Ein Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und Straftatenaufkommen sei nicht zu erkennen, so der Polizeisprecher gegenüber der WAZ .
Rund hundert Nationen leben hier. »Wir sind jetzt das zweite Innenstadtzentrum, Marxloh ist wieder lukrativ geworden«, sagt Tazeoglu. »Und? Mischen sich denn die Kulturen?« Das ist so ziemlich die beste Frage, die man ihm stellen kann. Jetzt kann er sich nämlich aufregen und erzählen, was ihm so unter den Nägeln brennt. Nein, sagt Tazeoglu, es mischt sich nicht. »Aber das muss es ja auch nicht! Hier kennt der Imam den Pfarrer, und wenn was los ist, dann setzen die sich zusammen. Ich kenne meine Nachbarn, aber wir haben nur dann miteinander zu tun, wenn es brennt oder wenn ein Wasserrohrbruch passiert ist. Dann helfen wir uns, das ist doch klar. Sonst macht jeder sein Ding.«
Genau das, ein ausgewogenes Verhältnis von Distanz und Nähe, ist möglicherweise das bessere Modell als die Multikulti-Harmoniebestrebungen vergangener Jahrzehnte. Wie auch Kulturtheoretiker Dirk Baecker in Stadtluft macht frei es beschreibt: »Die Funktion der Stadt besteht darin, das Miteinanderleben der Einwohner zu ermöglichen, obwohl, während und vielleicht sogar indem sie sich nicht kennen.« Denn die Stadt abstrahiere von der persönlichen Bekanntschaft zugunsten eines Miteinanders, das anderen Regeln folgt als denen, die man befolgt, wenn man miteinander vertraut ist. Anders gesagt: Das Individuum kann in der Stadt lernen, dem anderen sein Anderssein zuzugestehen. Im Dorf, in seiner Familie, auf seinem Hof, mit seinen Freunden wird der Mensch reden und sich so auseinandersetzen. Doch mit der ganzen Welt kann er das nicht, da wird er ja irre. Also lässt er den anderen sein und in Ruhe. Auf dass ihm Selbiges widerfahre.
Dieses lose Laissez-faire -Miteinander muss mitunter geübt werden. Tazeoglu erzählt, auf seinen Führungen sagen Teilnehmer oft, sie fühlten sich in ihren Vorurteilen ertappt. »Wir stehen zum Beispiel vor einem Migrantenreihenhaus, und ich stelle die Frage, wie es wohl im Garten aussieht.« Dann redeten die Gäste von Wäscheleinen, die sie für typisch türkisch halten, »die Realität ähnelt aber einem typischen deutschen Garten«. Nämlich so einem, in dem wir jetzt auch sitzen. Auf einer anderen Führung war eine Altmarxloherin dabei. Als sie an einer Stelle vorbeikamen, an der früher drei Telefonzellen standen, sagte sie, daran könne sie sich gut erinnern. »Nachts standen hier die Türken sogar mit Kindern, da sollten Kinder aber doch eigentlich schlafen.« Tazeoglu erklärte ihr: »Die Türken wollten bei Sehnsucht oder bei den ersten Worten ihrer Kinder sofort die Großeltern in der Türkei anrufen. Da alles sehr teuer war, ging es nur im Nachttarif über Telefonzellen.« So manches Aha-Erlebnis passiert da, und die Führungen hätten auch einen Einfluss auf Marxloh. »Die Leute hier
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