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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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Panther und Black Power interessiert. Aber hier, in Essen, falle ihre Hautfarbe nicht auf, »und dann vergisst du es auch selbst. Hier muss ich nix erklären oder mich gar rechtfertigen. Wenn du nicht immer mit der Nase darauf gestoßen wirst, dann ist es auch für dich selber nicht mehr so im Vordergrund.«
    Die Rü in Essen, wie etwa auch die Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg, dürfen als gelungene Beispiele einer städtischen Mischung gelten. Schon 1868 hatte der Berliner Stadtplaner James Hobrecht als Ziel ein »empfehlenswertes Durcheinanderwohnen« aller Schichten gefordert. Fremdsprachige Immigranten meinte er noch nicht, aber die Idee ist dieselbe: eben keine Monostrukturen zu schaffen.
    Der Pott im Miniaturformat: Marxloher Miteinander
    In Duisburg-Marxloh hingegen wurde genau das versäumt: 18000 Einwohner, davon etwa 6000 Ausländer, von denen wiederum 4000 Türken – die mit deutschem Pass nicht mitgezählt. Soziales Ghetto? »Das ganze Ruhrgebiet im Miniaturformat«, das sei Marxloh, sagt Mustafa Tazeoglu, der sich in seiner Heimatstadt engagiert, Führungen und Stadtteilprojekte organisiert und den ich hier treffen werde. Ist Marxloh dennoch Teil des Großkonzepts Stadt »als Ort der Ermöglichung des Miteinanderlebens von Unbekannten«, wie Max Weber schrieb? Marxloh, Klein Istanbul genannt – ich erwarte ein raues Klima, Marxloh wird als Problembezirk abgestempelt. 60 Prozent der Marxloher haben einen Migrationshintergrund. Olaf Sundermeyer, Buchautor aus dem Ruhrgebiet, listet in Der Pott einige Fakten zu Marxloh auf: Armutsrisiko, erhöhte Zahlen für Empfänger sogenannter Transferleistungen, hohe Kriminalitätsquote: »Deutschland hat ein Integrationsproblem«, schreibt er in spitzfindiger Umkehrung des Schlagworts.
    Ich fahre am Duisburger Hauptbahnhof los, die Tram ruckelt, raus aus dem Tunnel unter dem Bahnhof. Draußen wuseln Menschen, Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen – bisweilen sieht es so aus, als wäre das ganze Ruhrgebiet eine einzige Shoppingmall. Einkaufen, Shoppen oder nur durch die Läden schlendern, auch dies ein rein städtisches Freizeitvergnügen. Auf der Fahrt nach Marxloh sehe ich weitere Einkaufsstraßen – und plötzlich nichts mehr davon. Außerhalb der Duisburger Innenstadt nur noch Leerstand, heruntergekommene Häuser, Leere überhaupt. Erst in Marxloh, zwanzig Minuten Geruckel weiter, füllt sich die Gegend, und in der Weseler Straße drängen sich wieder Menschen auf den Bürgersteigen. Städtisches Leben! Die Marxloher können an Schaufenstern von rund fünfzig Brautmodengeschäften vorbeischlendern.
    Mittagessen beim Türken, zur großen Portion Lammfleisch fragt der beflissene Wirt: Ob es geschmeckt hat, ob alles in Ordnung war. Am Ende, nach der Rechnung, kommt er mit einer Flasche – ob ich auch etwas Rosenwasser in die Hände haben möchte? Welch Freundlichkeit. In Berlin sind wir so etwas nicht gewöhnt. Ich jedenfalls stimme Olaf Sundermeyer zu, der schreibt, die Erfahrung im Umgang mit fremden Kulturen sei »ein wuchtiges Kapital in der Wissensgesellschaft, die keine nationalen Grenzen mehr kennt«. Wuchtiges Kapital, o.k. Aber ich finde auch das Rosenwasser schon ziemlich gut.
    Mustafa Tazeoglu, 30, wartet vor seinem Haus auf mich, nicht weit von der Weseler Straße entfert. Das Haus war leicht zu finden, es steht direkt neben der Moschee, einer der größten Deutschlands, und ist die eindrucksvolle, allein stehende »alte Obersteiger-Villa«. Wir könnten im Garten reden, sagt er und führt mich in einen verwilderten Flecken Grün hinterm Haus, alte Bäume, ein Tisch im Schatten. Der gebürtige Marxloher organisiert Stadtführungen, zum Beispiel in der Weseler Straße die Tour »Verliebt, verlobt, verheiratet«, in der es natürlich um die Brautmodenläden geht, oder bringt Besucher bei »Himmlisches Marxloh« zur evangelischen und katholischen Kirche sowie in die Moschee. Tazeoglu flüchtete als junger Mensch erst einmal von Marxloh, ging nach der zehnten Klasse nach Frankreich zum Schüleraustausch. »Ich hab mich geschämt für wo ich herkomme.« Später lebte er in London und in anderen großen Städten im Ausland, »und immer habe ich so Viertel gesucht wie das hier, wie Marxloh. Ich habe gemerkt: Ich habe Heimweh.« Deswegen hat er mit den Führungen begonnen, sich für Quartiersentwicklung starkgemacht. »Warum? Das ist doch mein Zuhause. Hier habe ich gespielt, die ersten Frauen getroffen, die erste Liebe, die erste Zigarette und die erste

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