Stadtmutanten (German Edition)
keine persönlichen Gegenstände in seiner Studentenbude. Kein Foto, keine heiligen CDs oder Vinylplatten, keine Poster. Auch nichts augenscheinlich schwules, was auch immer dies sein mochte. Das Zimmer glich eher einem Hotelzimmer als einem typischen WG-Zimmer. Auch im Papierkorb war Fehlanzeige. Ich durchsuchte seine Jacke, die an einem Haken hing. Dort fand ich seine Brieftasche und ein kleines Notizbuch Ich nahm das Notizbuch an mich und verließ den Raum. Ich würde mich später darüber hermachen und sei es nur, um die letzten Stunden vor der Auslöschung meiner Persönlichkeit zu überbrücken.
Zurück in die Küche wartete ich auf Lila und Ben. Ich war noch immer erschöpft. Lila kam nach einiger Zeit mit einem großen Reiserucksack und setzte sich zu mir auf das Sofa.
»Leon hat nicht viel Zeug, oder?«
»Nicht wirklich. War auch nur so eine Idee.«
Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Als das Schweigen unerträglich wurde, beschloss ich, das Gespräch etwas unverfänglicher fortzusetzen.
»Sag mal, wieso eigentlich Emder Straße?«
»Was?«
»Ihr habt euch gestern von Egor bei der Emder Straße absetzen lassen. Das ist doch völlig falsch.«
Sie schaute mir streng in die Augen.
»Glaubst du ernsthaft, wir wollten länger als nötig in einem Fluchtauto mit Typen mitfahren, die gerade jemanden umgebracht haben?«
»Ok, verstehe. Obwohl…«
»Obwohl was?«
»Wann habt ihr euch darüber abgesprochen? Im Auto habt ihr kaum was gesagt.«
»Das haben wir schon vorher abgesprochen, als ihr euch völlig fasziniert den Unfall angeguckt habt.«
Ich war baff.
»So etwas besprechen Frauen schon vorher? ‚Also, wenn die Typen gleich jemanden umlegen, dann wollen wir aber nur kurz mit denen mitfahren’…«
Ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Ein humoristischer Seitenhieb auf ihre tote Freundin war sicherlich das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Zu meiner Überraschung lächelte sie.
»So sieht’s aus. Wir gehen zusammen aufs Klo und wir besprechen auch das Ende eines schönen Abends im Auto, nachdem ein Autounfall uns die Schau gestohlen hat.«
»Naja, das Taxi kam ja erst später.«
»Ach stimmt, vorher musstest ihr Typen euch ja über Koks unterhalten, nachdem du die ganze Zeit den Gentleman gespielt hast, obwohl es auf der Rückbank schon lange rund ging.«
Verdammt, dies wäre ein guter Moment gewesen, ihr zu beichten, dass ich glücklich verheiratet war, meine Familie vermisste und ich am Vorabend nicht den Gentleman gespielt hatte, sondern schlicht und einfach nicht meine Frau betrügen wollte. Aber ich tat es nicht. Mir gefiel das Spielchen. Und da wir erneut dabei waren, uns zu verabschieden, bildete ich mir ein, es sei OK, diese Informationen zurückzuhalten. Also lenkte ich das Gespräch an seinen Ursprung zurück.
»Also gut, ihr habt abgesprochen, dass man euch an der Emder Straße rauslässt. Vor der Fluchtautogeschichte. Und warum? Wolltet ihr vermeiden, dass jemand herausfindet, wo ihr wohnt?«
Lila nickte. »Kluges Kerlchen. Es gibt eine Abmachung in der WG: Keine Männergeschichten in der Wohnung. Und da muss man Vorkehrungen treffen, dass nicht einer hier irgendwann auf der Matte steht.«
»Das nenne ich mal abgebrüht.«
»Wenn du es sagst.« Ein kleines Lächeln.
Ben kam etwas später und blickte uns auffordernd an.
»Wollen wir’s packen?«
Ich wollte zustimmen, aber der Gedanke an drei Stockwerke und den Fußweg zum Fremdenzimmer erschien mir auf einmal grauenvoll weit.
»Ich weiß nicht, ob ich den Weg schaffe. Meine Knie sind immer noch wie Butter.«
Ben griff in seine Jackentasche, zog ein Beutelchen mit weißem Pulver heraus und zeigte es Lila.
»Ich hab das aus Sissis Jacke. Ist das OK?«
Lila zuckte mit den Achseln. Ben nahm dies als Zustimmung.
»OK, ich mache drei Lines.«
Ben formte drei Linien auf einem glatten Tablett und gab Lila einen Schein. Nachdem sie ihre Linie weggezogen hatte, war ich an der Reihe, dann Ben. Ich lehnte mich zurück und wartete auf das Schwinden der Müdigkeit. Als die Kraft in meinen Körper zurückkehrte, kam noch etwas anderes, Unerwartetes hinzu. Meine Schulter und mein Oberkörper begannen wie wild zu kribbeln. So stark, dass ich mich in Krämpfen wand und mir das Sweatshirt vom Leib riss. Ben machte das gleiche durch und kauerte auf dem Fußboden. Lila schrie auf.
»Was ist los? Sprecht mit mir! Was ist denn nur los mit euch.«
Sie legte die
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