Stadtmutanten (German Edition)
ein Fels in der Brandung, ein Sonderling. Einer dieser zeitlosen Typen, die alle Strömungen und jeden Zeitgeist ignorieren. Er wird nie in sein, aber auch nie ganz untergehen. Sein äußeres Erscheinungsbild ergänzte dies Bild: Jeans, Turnschuhe, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »tot, aber glücklich«, das an jedem anderen peinlich gewirkt hätte. Bei Enrico wirkte es wie Kunst. An ihm hätte auch »Bier formte diesen Körper« akzeptabel gewirkt, da all jene Attribute fehlten, die die Aufschrift ansonsten peinlich machten. Er war sichtlich selbstbewusst genug, um seinen eigenen Stil zu leben, schien aber gleichzeitig ein wenig unsicher im Umgang mit Menschen. Alles was er tat, wirkte irgendwie anders. Ich hatte das Gefühl, dass er mit seinen kanadischen Wurzeln kokettierte, um seine Andersartigkeit zu erklären. Mein Gefühl sagte mir, dass er sehr viel allein war und ein klassischer Partylöwe war er bestimmt auch nicht. Er war harmlos.
Wir ließen das Tütchen herumgehen. Ben nickte anerkennend, als er es weitergab. Schien gut zu sein. Ich konnte das insoweit unterschreiben, dass ich auf der Stelle angenehm angesäuselt war. Ich sank ins Sofa und lehnte mich entspannt zurück. Als der Joint durch war, entstand eine kurze Pause. Dann hob Enrico den Kopf. Seine Augen verrieten, dass er ebenso breit war wie ich. Dennoch war er begierig auf unsere Geschichte, mochte Geschichten, darauf wettete ich.
»So, und wie geht jetzt eure Geschichte?«
Ich schaute nach links zu Lila, dann nach rechts zu Ben. Lila winkte ab und Ben machte eine theatralische Bewegung, mit der er mir symbolisch den Sprechstein übergab. Also nahm ich einen Schluck Bier, steckte mir eine Zigarette an, pustete genüsslich den Rauch aus und begann meine Erzählung.
»OK, pass auf. Magst du Horrorfilme?«
Enrico nickte.
»Zombiefilme?«
»Du meinst so wie 28 Days Later oder Night of the Living Dead?«
»In 28 sind es technisch gesehen keine Zombies, aber im Kern geht es um das gleiche Problem.«
»Und was hat das mit unseren streitlüsternen Freunden lauter Gitarrenmusik vor der Bunkertür zu tun?«
»Vor der Bunkertür geht zur Zeit etwas ab, was irgendwie so ähnlich ist.«
Mann, machte das Kiffen einen langsam im Kopf. Ich merkte, wie ich ins Labern kam und schon jetzt in Szenegequatsche abdriftete. Auf diese Weise würde die Geschichte Stunden dauern. Ich nahm eine etwas weniger einlullende Position ein und zwang mich zu einem höheren Register.
»Also, die Leute da draußen sind mit irgendetwas infiziert. Niemand weiß, was es ist. Aber es verändert die Menschen: Sie werden aggressiv und versuchen, andere Menschen zu töten. Und sie zu essen. Das Ganze wird wohl über Körperflüssigkeiten übertragen. Wenn du also gebissen wirst und entkommen kannst, bist du trotzdem geliefert. Du wirst einer von denen. Die Bullen und die Bundeswehr haben Walle und Gröpelingen abgeriegelt, damit keiner von denen raus kann. Eigentlich sollten alle Nicht-Infizierten evakuiert werden, aber das hat nicht funktioniert. Jedenfalls nicht lange. Deshalb sitzen wir alle hier fest und draußen latschen diese Totenmänner herum.«
Ich unterbrach meinen Bericht, um Enricos Reaktion einzuschätzen. Niemand hätte es ihm verübelt, wenn er die Augen gerollt, die Nase gerümpft oder sonst wie seinen Unglauben ausgedrückt hätte. Aber er saß einfach da und deutete mir, weiterzureden.
»Und weil die Einsatzleiter natürlich den Moslems die Schuld geben müssen, glauben sie an einen Terroranschlag und haben deshalb alle Telefone, Handys und Internetleitungen im Sperrgebiet gekappt.«
»Und?«
»Naja, bis gerade war es draußen noch einigermaßen sicher, weil nicht so viele von den Beißern unterwegs waren. Aber das hat sich anscheinend geändert.«
Enrico saß nachdenklich da und schaute in unsere Gesichter.
»Ihr verarscht mich nicht, oder?«
»Nein.«
»Das passiert wirklich?«
»Ja.«
»Ihr meint, während ich hier saß und Musik gemacht habe, ist draußen das Jüngste Gericht hereingebrochen?«
»Nicht ganz, ein Arzt hat Ben und mir erzählt, dass diese Dinger schon seit einigen Tagen unterwegs sind.«
»Und wieso tragen die alle Metalshirts?«
»Keine Ahnung, wo die gerade alle herkamen. Bisher waren die Totenmänner alles normale Leute.«
Ben schaltete sich ein.
»Das mit den Metallern macht mich auch stutzig. War heute irgendwo Konzert oder so?«
Enrico schüttelte den Kopf.
»Nein, das war gestern im Area 51, gleich um die Ecke. Das ist
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